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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
Autoren: George Neblin
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mindern, zu helfen, zu heilen, sich für den anderen zu opfern.
    Doch all diese Erfahrungen sind Teil unserer Persönlichkeitsentwicklung, unserer Individuation, unserer Schöpfung. Der Preis dieses Geschaffen-Werdens, den unser Schöpfer in Kauf nimmt, liegt im moralischen Bereich in der Möglichkeit, daß wir uns aufgrund eigener Unvollkommenheit gegen seinen Maßstab von Perfektion, von Gut und Nicht-Gut, zu verhalten.
    Verhält sich der Mensch dagegen, so zeigt sich die Frucht der bösen Tat. Beim Opfer wie auch beim Täter. Und es wird offenbar: Der Mensch braucht den Beistand des Herrn. Er sehnt sich nach der Welt, in der das Unrecht nicht mehr ist. Er fühlt, dass da eine andere, eine bessere Existenz sein könnte, dass er auf eine andere Existenz hin angelegt ist. Aber er erfährt auch: Aus sich heraus wird er diesen Zustand nicht erreichen – er ist Geschöpf, nicht Schöpfer – auch diese Erfahrung scheint eine ganz wesentliche Erfahrung während der irdischen Existenz zu sein, im Prozess der Schöpfung des wahren Menschen, der über dieses irdische Leben hinausreicht.
    Aber auch hier ist dem Menschen gesagt: Fürchte Dich nicht!
    Fürchte Dich nicht! Du brauchst diesen Weg nicht allein zu gehen. Der Herr reicht Dir schon auf Erden seine Hand. Er führt Dich in ein neues Leben – selbst wenn es auf dem Weg manchmal anders scheint. Du kannst es in dieser Welt ansatzweise erahnen. Eines Tages wirst Du es in voller Herrlichkeit schauen. Denn Du bist nicht verloren. Du bist Gottes geliebtes Kind, dem er seine Gnade schenkt. Das sagt uns die Geschichte vom verlorenen Sohn, dem infolge seiner Wahl der falsche Weg gezeigt wird, der erkennt, dass die Wahl falsch war und den der Vater in Liebe aufnimmt. Das zeigt uns die Geschichte von Jesus am Kreuz, wo er sich dem reuigen Verbrecher zuwendet und verheißt: ‚ Wahrlich ich sage Dir: Heute wirst Du mit mir im Paradiese sein .’“
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Anhang III

 
 
    Aus meinem Gespräch mit dem Reverend an Annabells Krankenbett:

 
    „Wir alle“, sagte der Reverend, „sollten nicht vorschnell über einander urteilen. Wir sehen nur Ausschnitte der Sachverhalte, die wir oft so übereilt verdammen. Der Herr sieht den gesamten Sachverhalt, von innen wie von außen.
    Aber anders, als Sie meinen, Ethan, ist der Herr nicht rachsüchtig und neidisch. Rachsucht und Neid sind passive, reaktive Emotionen. Der Mensch erleidet etwa eine Kränkung und es verlangt ihn nach Rache, oder er empfindet einen anderen als besser begütert und das löst Neid in ihm aus. Der Herr aber ist nach meinem Verständnis actus purus , reiner Akt. Von ihm geht alles aus. Er erleidet nichts, erfährt keine Veränderung. Er ist die überquellende Liebe, die uneigennützig das Gute für seine Schöpfung will. Diese Liebe ist unabhängig davon, wie das Geschöpf sich ihr gegenüber verhält oder wie es subjektiv seine Beziehung zu Gott erlebt.
    Wenn es heißt, der Herr sei ein eifernder und neidischer Gott, so ging es meines Erachtens auch darum, dem Volk Israel die Eigenständigkeit des einen Schöpfergottes zu bewahren und der Degeneration des monotheistischen Glaubens in ein Pantheon von unzähligen Gottheiten vorzubeugen, wie es bei vielen antiken Völkern zu beobachten ist, bei denen lokale Gottheiten ihre singuläre Stellung einbüßten und im Rahmen territorialer Zusammenschlüsse in ein übergeordnetes System von vielen Göttern integriert wurden, wodurch die Religion mehr und mehr verwässert wurde. Der Glaube an einen Gott ist ein wesentliches Anliegen, das Juden, Christen und Muslime gemeinsam haben. Und nicht nur Jesus von Nazareth verherrlicht die Liebe des himmlischen Vaters. Der Koran preist die transzendente Realität, die er mit Allah bezeichnet, ganz zentral in der basmala , der Eröffnungssequenz fast jeder Sure, als Allerbarmer und Allbarmherzigen. Auch die jüdische Tradition zeigt Gott als barmherzig – im Buch Hosea beispielsweise gerade in Abgrenzung zum Menschen: ‚ Denn ich bin Gott, nicht ein Mensch, der Heilige in deiner Mitte. Darum komme ich nicht in der Hitze des Zorns . ‘
    Wenn in der Schrift vom Zorn Gottes die Rede ist, sollte das heute nicht so verstanden werden, dass der Mensch durch sein Verhalten eine Veränderung in Gott hervorruft, die menschlichem Zorn gleicht, sondern eher, dass sich die Beziehung des Menschen zu Gott mit Sicht auf den Menschen dadurch verändert hat, dass er sich von Gottes Weg entfernt und sich für das Unrecht, das
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