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Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Titel: Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
Autoren: Kendare Blake
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und springe, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Ich muss unbedingt duschen und dieses gammelige, schimmelige Gefühl von Handgelenk und Schultern abspülen. Außerdem muss ich den Athame meines Vaters überprüfen und alle Reste des schwarzen Zeugs entfernen, die womöglich noch daran kleben.
    Oben auf der Treppe pralle ich gegen einen Karton. »Verdammt!«, fluche ich etwas zu laut. Ich hätte es wissen müssen. Schließlich spielt sich mein Leben zwischen Umzugskartons ab. Meine Mom und ich sind geübte Möbelpacker. Wir geben uns nicht mit den leeren Kartons aus dem Supermarkt oder dem Getränkemarkt ab, sondern benutzen erstklassige, widerstandsfähige, verstärkte Spezialanfertigungen mit dauerhaften Aufklebern. Selbst im Dunkeln kann ich erkennen, dass ich gerade über »Küchenutensilien« gestolpert bin.
    Auf Zehenspitzen schleiche ich ins Bad und hole das Messer aus dem Lederrucksack. Sobald der Anhalter erledigt war, habe ich es in ein schwarzes Samttuch eingeschlagen, aber leider nicht sehr ordentlich. Ich hatte es eilig und wollte nicht länger als unbedingt nötig auf der Straße und in der Nähe der Brücke bleiben. Nicht dass die Auflösung des Anhalters mir Angst gemacht hätte, schließlich habe ich schon Schlimmeres gesehen. Aber an solche Dinge gewöhnt man sich wohl nie richtig.
    »Cas?«
    Im Spiegel erkenne ich das verschlafene Gesicht meiner Mom, die die schwarze Katze in den Armen hält. Ich lege den Athame auf den Schminktisch.
    »Hallo, Mom. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.«
    »Du weißt doch, dass ich gern wach bleibe, bis du kommst. Du solltest mich immer wecken, wenn du zurück bist, damit ich schlafen kann.«
    Ich erkläre ihr nicht, wie dumm sich das anhört, sondern drehe nur das Wasser auf und spüle die Klinge unter dem kalten Wasser ab.
    »Lass mich das machen«, sagt sie und berührt mich am Arm. Dann bemerkt sie die Blutergüsse, die sich allmählich auf dem ganzen Unterarm bilden, und hält mein Handgelenk fest.
    Ich rechne damit, dass sie etwas Mütterliches sagt, ein paar Minuten wie eine aufgeregte Ente herumquakt und in die Küche marschiert, um Eis und ein feuchtes Handtuch zu holen, obwohl diese Prellungen bei Weitem nicht die schlimmsten Verletzungen sind, die ich bislang bei meiner Arbeit erlitten habe. Aber dieses Mal hält sie sich zurück. Vielleicht, weil es schon so spät ist oder weil sie müde ist. Oder weil sie nach drei Jahren endlich begriffen hat, dass ich sowieso nicht damit aufhören werde.
    »Gib es mir.« Ich gehorche, weil ich den größten Teil des schwarzen Zeugs sowieso schon entfernt habe. Sie nimmt das Messer und geht hinaus. Ich weiß, dass sie auch dieses Mal wieder tun wird, was sie jedes Mal tut.
Sie wird die Klinge auskochen und in einen großen Topf mit Salz stecken, wo sie drei Tage bei Mondlicht bleiben wird. Dann wird sie die Waffe wieder herausnehmen, mit Zimtöl abreiben und behaupten, sie sei so gut wie neu.
    Für meinen Dad hat sie das Gleiche getan. Wenn er nach Hause kam, nachdem er etwas getötet hatte, das schon tot war, küsste sie ihn immer auf die Wange und nahm ihm den Athame ab, wie eine Hausfrau ihrem Mann die Aktentasche abnimmt. Dad und ich haben das Ding oft zusammen angestarrt, wenn es im Salzfass steckte. Wir haben die Arme vor der Brust verschränkt und gedacht, wie lächerlich das doch sei. Uns kam es vor wie der reinste Aberglaube. Excalibur im Felsblock.
    Aber mein Dad ließ sie gewähren. Er hatte gewusst, worauf er sich einließ, als sie sich kennengelernt und geheiratet haben. Sie war eine hübsche, brünette Wicca mit einem Kranz aus weißen Blüten um den Hals. Er hat damals gelogen und sich ebenfalls als Wicca ausgegeben. Im Grunde hatte er aber gar nichts damit zu tun.
    Dad liebte einfach nur die Legenden. Er mochte interessante Geschichten und Erzählungen, in denen die Welt schöner aussah, als sie tatsächlich war. Er war ganz versessen auf die griechische Mythologie, und daher stammt auch mein Name.
    Der Name ist ein Kompromiss, weil meine Mutter Shakespeare liebte. Deshalb nannten sie mich schließlich Theseus Cassio. Theseus ist der Bezwinger des
Minotaurus, und Cassio ist Othellos dem Untergang geweihter Leutnant. In meinen Ohren klingt das ziemlich albern: Theseus Cassio Lowood. Aber alle nennen mich nur Cas. Und ich schätze, ich habe noch Glück gehabt. Mein Dad mochte nämlich auch die nordische Mythologie, und wenn er mich Thor genannt hätte, wäre es wirklich
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