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Anna, die Schule und der liebe Gott

Anna, die Schule und der liebe Gott

Titel: Anna, die Schule und der liebe Gott
Autoren: Richard David Precht
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lassen, sie werden stets unter der Frage geprüft, ob sie der Macht des Königs und der bestehenden inneren Ordnung des Staates zuträglich sein werden oder nicht. Der ungewöhnliche Auftrag, das hehre deutsche Aufklärungsideal der » Bildung « quasi im Hauruckverfahren in staatliche Institutionen zu implementieren, wird damit von Anfang an argwöhnisch beäugt und überwacht.
    Humboldts wichtigste Idee ist, ganz im Geist Herders und Pestalozzis, Bildung allen Staatsbürgern zugänglich zu machen. Jeder soll die Chance bekommen, sich zu bilden, sei er Bauer, Handwerker oder Fürst. Humboldt sah sich dabei im Einklang mit seinem Menschenbild, wonach jeder das natürliche Bedürfnis besitzt, sich zu bilden. Alles Lernen steht damit zunächst einmal im Dienst der Ausformung und Reifung der Persönlichkeit. Fast wörtlich greift er dabei auf Herder zurück, wenn er die Bildung über jede Ausbildung stellt: » Es gibt schlechterdings gewisse Kenntnisse, die allgemein sein müssen, und noch mehr eine gewisse Bildung der Gesinnungen und des Charakters, die keinem fehlen darf. Jeder ist offenbar nur dann ein guter Handwerker, Kaufmann, Soldat und Geschäftsmann, wenn er an sich und ohne Hinsicht auf seinen besonderen Beruf ein guter, anständiger, seinem Stande nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist. Gibt ihm der Schulunterricht, was hierfür erforderlich ist, so erwirbt er die besondere Fähigkeit seines Berufs nachher so leicht und behält immer die Freiheit, wie im Leben so oft geschieht, von einem zum andern überzugehen. « 9
    Ein guter Facharbeiter wird man nach Humboldt dann, wenn man eben nicht nur als Facharbeiter ausgebildet wird. » Jeglicher Berufsausbildung « soll deshalb » eine allgemeine Menschenbildung vorangehen « . Im Übrigen sei Arbeit kein Selbstzweck, wie die protestantische Tradition meint, sondern arbeiten zu wollen und zu müssen sei nur ein wichtiger Teil dessen, was es heißt, Mensch zu sein. Es gibt auch andere gleichberechtigte Teile wie etwa Geselligkeit, Muße und Genuss. Aus diesem Grund haben sich die Schulen und Universitäten bei ihrem Bildungsstoff nicht vorrangig nach den wirtschaftlichen Bedürfnissen des Staates zu richten. Das wichtigste gesellschaftliche Ziel sei nämlich etwas ganz anderes: die » Partizipation und Teilnahme an einer allgemeinen bürgerlichen Öffentlichkeit « . 10
    Dieses Ziel ist neu, intelligent und modern. So modern sogar, dass es bis heute von manchen Parteien, Gruppierungen und Verbänden noch immer nicht zureichend begriffen wird. Es ist die Einsicht, dass in einer modernen Gesellschaft Menschen nicht mehr in voneinander isolierten Berufswelten leben wie der Hirte, Fischer oder Bauer des Mittelalters oder die Klostergemeinschaften usw. All diese Menschen mit ihren festgelegten Berufen waren keine Staatsbürger, sondern Untertanen. Sie kommunizierten nicht in einer Öffentlichkeit, formulierten keine gemeinsamen Interessen und organisierten sich nicht in übergreifenden Gemeinschaften. Ein moderner Staat wie das revolutionäre Frankreich Napoleons aber kannte genau das: eine stetig wachsende Öffentlichkeit als notwendige Voraussetzung einer bürgerlichen Gesellschaft. Eben deshalb sollte der Staat, nach Humboldts Meinung, seine zukünftigen Bürger nicht zu Fachidioten nach den Bedürfnissen des Marktes ausbilden, sondern in erster Linie zu – Bürgern! Und dafür musste man lernen, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, sich einzubringen, mitzuwirken und dabei über den eigenen Tellerrand zu schauen.
    Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Georg Heinrich Ludwig Nicolovius, Johann Wilhelm Süvern und Alexander von Uhden erarbeitet Humboldt ein völlig neues Schulkonzept. Der Diplomat und Schöngeist, der selbst nie eine Schule besucht hatte, geschweige denn je als Lehrer unterrichtete, schmeißt die Lehrpläne radikal um, verändert das Prüfungssystem und sorgt dafür, dass Lehrer von nun an professionell zu Lehrern ausgebildet werden. Die allgemeine Schulpflicht in Preußen, bislang kaum das Papier wert, auf dem sie steht, wird endlich ernst genommen. In allen Winkeln Preußens sollen Schulen gebaut werden. Und auch jedes Bauernkind soll einen dreijährigen » Elementarunterricht « erhalten. Jeder soll lesen, schreiben und schriftlich rechnen lernen – eine alte Forderung schon seit den Tagen des mährischen Pädagogen Johann Amos Comenius (1592 –1670). Zu Humboldts Zeit war sie gerade in Fichtes Idee einer » Anstalt zur
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