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Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)

Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)

Titel: Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)
Autoren: Paul Watzlawick
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es zu spät, jetzt will ich es nicht mehr« ermöglicht es ihm, unnahbar im Turmzimmer seiner Indignation zu verbleiben und die von der Vergangenheit geschlagenen Wunden durch allzu eifriges Lecken am Heilen zu hindern.
    Das Nonplusultra aber, das freilich Genialität voraussetzt, besteht darin, die Vergangenheit auch für Gutes verantwortlich zu machen und daraus Kapital für gegenwärtiges Unglück zu schlagen. Unübertroffen als Beispiel für diese Variation des Themas ist der in die Geschichte eingegangene Ausspruch eines venezianischen Hafenarbeiters nach Abzug der Habsburger aus Venetien: »Verflucht seien die Österreicher, die uns gelehrt haben, dreimal täglich zu essen!«

4. Der verlorene Schlüssel
oder »mehr desselben«
     
     
    Unter einer Straßenlaterne steht ein Betrunkener und sucht und sucht. Ein Polizist kommt daher, fragt ihn, was er verloren habe, und der Mann antwortet: »Meinen Schlüssel.« Nun suchen beide. Schließlich will der Polizist wissen, ob der Mann sicher ist, den Schlüssel gerade hier verloren zu haben, und jener antwortet: »Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster.«
    Finden Sie das absurd? Wenn ja, suchen auch Sie am falschen Ort. Der Vorteil ist nämlich, daß eine solche Suche zu nichts führt, außer mehr desselben , nämlich nichts.
    Hinter diesen beiden einfachen Wörtern, mehr desselben, verbirgt sich eines der erfolgreichsten und wirkungsvollsten Katastrophenrezepte, das sich auf unserem Planeten im Laufe der Jahrmillionen herausgebildet und zum Aussterben ganzer Gattungen geführt hat. Es handelt sich dabei nämlich um ein Spiel mit der Vergangenheit, das unseren tierischen Vorfahren schon vor dem sechsten Schöpfungstag bekannt war.
    Im Gegensatz zum oben erwähnten Mechanismus der Zuschreibung von Ursache und Schuld an die Force majeure vergangener Ereignisse beruht dieses vierte Spiel auf dem sturen Festhalten an Anpassungen und Lösungen, die irgendwann einmal durchaus ausreichend, erfolgreich oder vielleicht sogar die einzig möglichen gewesen waren. Das Problem mit jeder derartigen Anpassung an gegebene Umstände ist nur, daß letztere sich mit der Zeit ändern. Und hier setzt dieses Spiel an. Einerseits ist es klar, daß sich kein Lebewesen der Umwelt gegenüber planlos – das heißt, heute so und morgen ganz anders – verhalten kann. Die lebenswichtige Notwendigkeit der Anpassung führt unweigerlich zur Ausbildung bestimmter Verhaltensmuster, deren Zweck idealerweise ein möglichst erfolgreiches und leidensfreies Überleben wäre. Aus Gründen, die den Verhaltensforschern noch recht schleierhaft sind, neigen aber andererseits Tiere wie Menschen dazu, diese jeweils bestmöglichen Anpassungen als die auf ewig einzig möglichen zu betrachten. Das führt zu einer zweifachen Blindheit: erstens dafür, daß im Laufe der Zeit die betreffende Anpassung eben nicht mehr die bestmögliche ist, und zweitens dafür, daß es neben ihr schon immer eine ganze Reihe anderer Lösungen gegeben hat oder zumindest nun gibt. Diese doppelte Blindheit hat zwei Folgen: Erstens macht sie die Patentlösung immer erfolgloser und die Lage immer schwieriger, und zweitens führt der damit steigende Leidensdruck zur scheinbar einzig logischen Schlußfolgerung, nämlich der Überzeugung, noch nicht genug zur Lösung getan zu haben. Man wendet also mehr derselben »Lösung« an und erreicht damit genau mehr desselben Elends.
    Die Bedeutung dieses Mechanismus für unser Thema liegt auf der Hand: Er kann ohne die Notwendigkeit einer Spezialausbildung auch vom Anfänger angewandt werden – ja, er ist so weit verbreitet, daß er seit den Tagen Freuds Generationen von Spezialisten ein gutes Ein- und Auskommen bietet; wobei allerdings zu bemerken ist, daß sie ihn nicht das Mehr-desselben- Rezept, sondern Neurose nennen.
    Doch nicht auf den Namen soll es uns ankommen, sondern auf den Effekt. Dieser aber ist garantiert, solange der Unglücksaspirant sich an zwei einfache Regeln hält: Erstens, es gibt nur eine mögliche, erlaubte, vernünftige, sinnvolle, logische Lösung des Problems, und wenn diese Anstrengungen noch nicht zum Erfolg geführt haben, so beweist das nur, daß er sich noch nicht genügend angestrengt hat. Zweitens, die Annahme, daß es nur diese einzige Lösung gibt, darf selbst nie in Frage gestellt werden; herumprobieren darf man nur bei der Anwendung dieser Grundannahme.

Russen und Amerikaner  
     
     
    W er aber – fragten Sie sich
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