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Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)

Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)

Titel: Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)
Autoren: Paul Watzlawick
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die Trennung das bei weitem kleinere Übel ist. Überzeugen Sie sich vielmehr zum x-ten Male, daß ein ernsthafter, ehrlicher »Neuanfang« diesmal den idealen Erfolg haben wird. (Er wird es nicht.) Lassen Sie sich ferner von der eminent logischen Überlegung leiten: Wenn der Verlust des geliebten Wesens so höllisch schmerzt, wie himmlisch muß dann das Wiederfinden sein. Sondern Sie sich von allen Mitmenschen ab, bleiben Sie daheim, in unmittelbarer Nähe des Telefons, um sofort und voll verfügbar zu sein, wenn die glückhafte Stunde schlägt. Sollte das Warten Ihnen aber doch zu lange werden, dann empfiehlt uralte menschliche Erfahrung das Anknüpfen einer in allen Einzelheiten identischen Beziehung zu einem ganz ähnlichen Partner – wie grundverschieden dieser Mensch anfangs auch scheinen mag.

2. Frau Lot
     
     
    Ein weiterer Vorteil des Festhaltens an der Vergangenheit besteht darin, daß es einem keine Zeit läßt, sich mit der Gegenwart abzugeben. Täte man das, so könnte es einem jederzeit passieren, die Blickrichtung rein zufällig um 90 oder gar 180 Grad zu schwenken und feststellen zu müssen, daß die Gegenwart nicht nur zusätzliche Unglücklichkeit, sondern gelegentlich auch Un- Unglückliches zu bieten hat; von allerlei Neuem ganz zu schweigen, das unseren ein für allemal gefaßten Pessimismus erschüttern könnte. Hier blicken wir mit Bewunderung auf unsere biblische Lehrmeisterin, Frau Lot, zurück – Sie erinnern sich doch? Der Engel sagte zu Lot und den Seinen: »Rette dich, es gilt dein Leben. Schaue nicht hinter dich, bleibe nirgends stehen […] Seine Frau aber schaute zurück und wurde zu einer Salzsäule« [Gen. 19,17 und 26].

3. Das schicksalhafte Glas Bier
     
     
    In einem seiner Filme, The Fatal Glass of Beer , zeigt ein Altmeister der amerikanischen Filmkomik, W. C. Fields, den erschröcklichen, unaufhaltsamen Niedergang eines jungen Mannes, der der Versuchung nicht widerstehen kann, sein erstes Glas Bier zu trinken. Der warnend erhobene (wenn auch vor unterdrücktem Lachen leicht zitternde) Zeigefinger ist nicht zu übersehen: Die Tat ist kurz, die Reue lang. Und wie lang! (Man denke nur an eine andere biblische Urmutter: Eva, und das bißchen Apfel…)
    Diese Fatalität hat ihre unleugbaren Vorteile, die bisher schamhaft verschwiegen wurden, in unserem aufgeklärten Zeitalter aber nicht länger verheimlicht werden dürfen: Reue hin, Reue her – für unser Thema ist es viel wichtiger, daß die nie wiedergutzumachenden Folgen des ersten Glases Bier alle weiteren Gläser wenn schon nicht entschuldigen, so doch zwingend begründen. Anders ausgedrückt: Schön – man steht schuldbeladen da, man hätte es damals besser wissen sollen, aber jetzt ist es zu spät. Damals sündigte man, jetzt ist man das Opfer des eigenen Fehltritts. Ideal ist diese Form der Unglücklichkeitskonstruktion freilich nicht, nur passabel.
    Suchen wir daher nach Verfeinerungen. Was, wenn wir am ursprünglichen Ereignis unbeteiligt sind? Wenn uns niemand der Mithilfe beschuldigen kann? Kein Zweifel, dann sind wir reine Opfer, und es soll nur jemand versuchen, an unserem Opferstatus zu rütteln oder gar zu erwarten, daß wir etwas dagegen unternehmen. Was uns Gott, Welt, Schicksal, Natur, Chromosomen und Hormone, Gesellschaft, Eltern, Verwandte, Polizei, Lehrer, Ärzte, Chefs oder besonders Freunde antaten, wiegt so schwer, daß die bloße Insinuation, vielleicht etwas dagegen tun zu können, schon eine Beleidigung ist. Außerdem ist sie unwissenschaftlich. Jedes Lehrbuch der Psychologie öffnet uns die Augen für die Determinierung der Persönlichkeit durch Ereignisse in der Vergangenheit, vor allem in der frühen Kindheit. Und jedes Kind weiß, daß, was einmal geschehen, nie mehr ungeschehen gemacht werden kann. Daher, nebenbei bemerkt, der tierische Ernst (und die Länge) fachgerechter psychologischer Behandlungen 4 . Wo kämen wir denn hin, wenn sich immer mehr Menschen davon überzeugten, daß ihre Lage hoffnungslos, aber nicht ernst ist? Man besehe sich nur das warnende Beispiel Österreichs, dessen wirkliche, wenn auch offiziell hartnäckig geleugnete Nationalhymne das gemütliche Lied »O du lieber Augustin, alles ist hin« ist.
    In den eher seltenen Fällen, in denen der unabhängige Lauf der Dinge ohne unser Zutun für das Trauma oder die Versagung der Vergangenheit kompensiert und uns das Gewünschte kostenlos in den Schoß legt, verzagt der Könner noch lange nicht. Die Formel »Jetzt ist
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