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Animal Tropical

Animal Tropical

Titel: Animal Tropical
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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dass der Junge Lou Reed hört.«
    »In Kuba kennt niemand Lou Reed. Und sechzehnjährige Jungs können keine Autos kaufen. In dem Film würde nie eine Alte auftauchen, und es käme auch kein Sex vor. Es ginge um dich und deine inneren Qualen. Dich und dein Experiment in Madrid. Titel sind dazu da, das Publikum zu verwirren.«
    Mozart beendete Agnus Dei und nahm kraftvoll das Lux aeterna in Angriff. Ich schwieg. Wollte, dass er begriff, dass es jetzt reichte. Ich hatte ihn verstanden. Er ließ mir seine Telefonnummer und seine E-Mail-Adresse da und verabschiedete sich. Er machte die Tür zu. Ich zerriss das Stück Papier mit seinen Anschriften und lauschte dem Finale des Lux aeterna.
    Ich ging hinunter und setzte mich auf die Mauer des Malecón. Der kalte Nordostwind ließ nicht nach, und die leichte Brandung brach sich an der Mauer. Ein einsamer Typ stand mit dem Gesicht zum Meer und spielte Saxofon. Er übte Tonleitern. Irgendwann begann er, etwas Jazz zu spielen. Ganz langsam und melancholisch. Er improvisierte. Mitten im rötlichen Licht des Malecón, in der Stille und Einsamkeit der Nacht und des kalten Windes. Es hatte etwas Irreales, dieser Typ, wie er einen langsamen Jazz blies und wie die Musik sich in der Nacht und in der Unendlichkeit des Meeres verlor. Das ist das Schöne an der Realität: Sie erlaubt sich Übertreibungen, die Schriftstellern untersagt sind. Die Wirklichkeit ist nicht verpflichtet, überzeugend zu sein. Ich unterdrücke den Wunsch, mir von dieser Szene und Atmosphäre Notizen für Mucho corazón zu machen. Viel zu schwierig, sie aus der Wirklichkeit herauszunehmen und sie auf dem Papier glaubwürdig werden zu lassen. Ich kann mir das Leben mit diesem verdammten Roman nicht zu sehr verkomplizieren. Ich unterdrücke den Wunsch, ins El Mundo zu gehen, um billigen Rum zu trinken, der aus Petroleum destilliert ist. Ich darf mich nicht jede Nacht diesen widerlichen Besäufnissen ergeben. Ich unterdrücke den Wunsch, Gloria um diese Zeit zu suchen. Sie muss hier irgendwo in der Nähe anschaffen gehen.
    Ich legte mich früh schlafen, ein einziges Bündel aus Unterdrückungen. Gegen halb sechs morgens erwachte ich mit einem knüppelharten Schwanz. Ich war nicht mehr müde. Spielte ein bisschen herum und wichste ihn mir. Den Saft verspritzte ich nicht. Ein Mann von fünfzig ist jeden Tag sparsamer und behutsamer. Ich beherrschte mich und stand auf. Ich wollte die Notizen zu Mucho corazón ordnen. Zwar weiß ich, wie ich anfange, habe aber keine Ahnung vom Ende. So kann ich nicht schreiben. Ich muss wissen, worauf das mit Gloria hinausläuft. Ich legte alle Notizen weg und fing an zu malen. Gegen sieben höre ich ihre Armreifen. Geschäftig wirtschaftet sie in der Küche herum. Ich beuge mich herab. Durch eine zerbrochene Scheibe sehe ich nur ihre Hände. Ich mag ihre Hände. Wahnsinnig gern. Es ist aufregend, ihr bei der Arbeit zuzusehen, wie sie Kaffee kocht. Ich rufe sie, und sie antwortet: »Ich bringe den Jungen zur Schule. Dann komme ich hoch.« Gegen neun kommt sie endlich rauf. Sie kommt mit einem Heft: Horoskop 2000. Liest mein Sternzeichen vor:
    »Schau mal, was sie über Wassermann sagen, Schätzchen: ›Auf Unheil bringende Art wird ein unverbesserlicher Utopist dabei herauskommen, oder ein pervertiertes Wesen, gefährlich, ohne Gewissen oder Gefühl, von kalter Bosheit.‹«
    »Gloria, verdammt, nerv mich nicht! So bin ich nicht!«
    »So bist du nicht?! Du bist viel schlimmer!«
    »Komm, wir fahren nach Mantilla. Ich will dir die Tätowierung machen lassen.«
    »Nein, nein. Was, wenn ich mir Aids dabei hole?«
    »Wenn du dir bislang mit all deinen vaginalen, oralen und manuellen Diensten kein Aids eingefangen hast …«
    »Ach, fall mir jetzt nicht auf den Wecker.«
    »Du bist immun. Komm, wir fahren nach Mantilla. Außerdem weiß der Mann, was er tut, und er hat gutes Material. Alles wird ihm von den Amis geschickt: Nadeln, Tinte, alles.«
    »Wird es sehr wehtun?«
    »Nein.«
    »Na schön, aber wir nehmen Rum und Gras mit. Auf keinen Fall nüchtern.«
    »Komm schon, und hör auf zu nerven.«
    Es klopft an der Tür. Zwei Architekten für die Restaurierung. Wir müssen abwarten. Sie machen Fotos, messen aus, loben das Gebäude. Dass es auf jeden Fall ein Klassiker sei und was weiß ich noch alles. Einer ist Italiener. Die andere ist eine junge Kubanerin, die gerade ihr Examen gemacht hat, wie sie sagt. Mir scheint, dass sie sich nebenbei für den Italiener noch ein bisschen prostituiert.
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