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Angst in der 9a

Titel: Angst in der 9a
Autoren: Stefan Wolf
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mitkam und wer nicht, wer das Klassenziel erreichte oder durchfiel – das schien sie nicht zu interessieren, geschweige, dass sie sich um das Vorwärtskommen der Kinder bemühte.
    Außerdem schien sie was gegen Mädchen zu haben, besonders gegen so hübsche wie Lore und Stella.
    Am schlimmsten allerdings hatte Gaby zu leiden. Vielleicht weil sie nicht nur hübsch, sondern bildhübsch war – das hübscheste Mädchen der ganzen Schule, worin Tarzan, Karl, Klößchen und sämtliche anderen Schüler, die sich jemals dazu geäußert hatten, übereinstimmten.
    Gaby Glockner, ebenfalls 13, saß zwei Reihen von Tarzanentfernt. Sie war eine »Externe«, wohnte also in der Stadt bei ihren Eltern und kam jeden Morgen mit dem Rad zur Schule, beziehungsweise im Winter mit dem Bus.
    Gaby hatte lange goldblonde Haare, die blauesten Augen, die man sich vorstellen kann, und dichte kohlschwarze Wimpern. Bisweilen freilich hing ihr der Stirnpony so tief in die Augen, dass sie gegen die Fransen blies, um die Sicht freizuhalten. Im Rückenschwimmen hatte sie schon viele Urkunden gewonnen. In Englisch war sie bis vor Kurzem Klassenbeste gewesen. Verzweifelt kämpfte sie zurzeit um gute Zensuren; aber die Raul schien fest entschlossen, ihr keine zu geben.
    Von ihren Freunden wurde Gaby oft PFOTE genannt. Das hing mit ihrer kolossalen Tierliebe zusammen. Besonders in Hunde war sie ganz vernarrt.An keinem konnte sie vorbeigehen, ohne ihn aufzufordern, ihr die Pfote zu geben. Was auch fast alle taten – sogar die bissigsten Köter. Offenbar lag das an ihrer Ausstrahlung. Dass sie einstmals Tierärztin werden würde, war für sie beschlossene Sache.
    Jetzt schien die Klasse wie in eisigem Schreck erstarrt.
    Die Raul gab die Arbeiten zurück.
    Es hagelte Sechsen und Fünfen. Und das bei einer englischen Nacherzählung, die keiner als besonders schwierig empfunden hatte.
    Klößchen erhielt eine Fünf, was ihn aber nicht sonderlich aufregte. Er reagierte darauf, indem er sich ein Stück Schokolade in den Mund schob.
    Tarzan und Karl konnten sich über eine Zwei freuen.
    Tarzan ließ das kalt. Er wusste, dass er und einige andere Jungs von der Raul bevorzugt wurden – offenbar nur, weil sie Jungen waren.
    Dann erhielt Gaby ihre Arbeit. Ohne Kommentar. Tarzan sah, wie sie das Heft aufschlug und zusammenzuckte.
    Sie senkte den Kopf. Ihr dichtes Haar fiel nach vorn undverdeckte das Gesicht. Aber am Beben der Schultern merkte er, dass sie weinte.
    Er presste die Zähne aufeinander. Wenn Gaby Kummer hatte, litt er mit. Er wusste nicht, wieso, aber es war nicht zu ändern. Dass sie weinte, schnitt ihm ins Herz. Wenn er ihr nur helfen könnte!
    Da scheint heute was in der Luft zu liegen, dachte er grimmig. Gleich zweimal Tränen.
    »Pfote?«, fragte er halblaut.
    Sie wandte sich um. Ihre Blauaugen schwammen in Tränen. Aber sie versuchte ein Lächeln und wischte mit dem Handrücken die Tränen weg.
    Sie zeigte vier Finger, signalisierte damit, welche Zensur sie hatte.
    Eine Vier?, dachte er. Gaby eine Vier? Das ist doch unmöglich. Sie stand immer auf ner Eins. Wenn sie mal eine Zwei schrieb, ging die Welt schon fast unter. Hört sich verrückt an – aber wer Ehrgeiz hat, der zeigt eben gern wenigstens ein Glanzfach vor. Eine Streberleiche ist sie ja wirklich nicht. Eher ein bisschen faul. Aber Sprachen fliegen ihr zu wie mir Mathe, überlegte Tarzan weiter. Um das zu kapieren, rühre ich ja nicht den kleinen Finger. Ich verstehe es einfach – und damit hepp! Eine Vier? Da stimmt was nicht. Ich weiß doch: Gerade für diese Arbeit hat sie gebüffelt wie eine Irre. War ja schon ein Elend, dass sie kaum noch Zeit hatte, sondern dauernd zu Hause blieb – mit der Nase im Buch.
    »Was hast du?«, fragte sie.
    Er konnte gerade noch zwei Finger heben. Dann wurde Gaby von der Raul angeschnauzt und musste sich nach vorn drehen.
    Auch diese Stunde verging.
    Von allen wurde das Klingelzeichen als Erlösung empfunden.
    Als Nächstes hätte Biologie auf dem Stundenplan gestanden,aber der Lehrer war erkrankt, und eine Vertretung gab’s nicht. Das bedeutete Freistunde.
    Aber noch war Pause und alle bis auf die vier vom TKKG hatten die Klasse verlassen. Tarzan setzte sich zu Gaby, die wie ein hypnotisiertes Kaninchen auf ihre Arbeit starrte.
    Tröstend legte er ihr die Hand auf den Arm.
    »Kann mir das gar nicht erklären, Gaby. Du und eine Vier? Die Raul war wohl mal wieder schlecht aufgelegt.«
    Gaby schob ihm das Heft hin. »Lies die Begründung. Da
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