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Ange Pitou, Band 1

Titel: Ange Pitou, Band 1
Autoren: Alexander Dumas
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Betschwestern der Stadt vermehrte. Sie lebte nicht gerade von Almosen, doch außer dem Verkauf von flächsenem Garn, das sie am Rädchen spann, und der Vermietung der Kirchenstühle, die ihr vom Kapitel bewilligt worden war, empfing sie von Zeit zu Zeit von frommen Personen, die sich von ihrer Scheinheiligkeit bethören ließen, kleine Summen, welche sie allmählich von Kupfermünze in Silbermünze, und von Silbermünze in Louis d'or verwandelte. Ohne daß jemand ihr Vorhandensein mutmaßte, verschwanden sie einer um den andern in den Kissen des Lehnstuhls, auf dem sie arbeitete. Und befanden sie sich einmal in diesem Versteck, so trafen sie eine gewisse Anzahl ihrer Kameraden, die bestimmt waren, fortan von der Cirkulation ausgeschlossen zu sein, bis zu dem unbekannten Tag, wo der Tod der alten Jungfer sie in die Hände ihres Erben bringen würde.
    Nach der Wohnung dieser ehrwürdigen Verwandten begab sich also der Doktor Gilbert, den großen Pitou an der Hand fortziehend, den großen Pitou, weil vom ersten Vierteljahr nach seiner Geburt Pitou für sein Alter immer zu groß gewesen war.
    Mademoiselle Rose Angelique Pitou war in dem Augenblick, als sie ihre Thüre öffnete, um ihren Neffen und denDoktor einzulassen, in sehr freudiger Laune. Während man die Totenmesse über dem Leichnam ihrer Schwägerin in der Kirche von Haramont las, hatten Hochzeiten und Taufen in der Kirche von Villers-Cotterets stattgefunden, so daß die Einnahme für die Stühle an einem Tage auf sechs Livres angewachsen war. Mademoiselle Angelique hatte ihre Sous in einen großen Thaler verwandelt, der wiederum mit den drei anderen zu verschiedenen Zeiten in Reserve gelegten Thalern einen Louisd'or gab. Dieser Louisd'or war soeben den übrigen beigesellt worden, und der Tag, an dem eine solche Vereinigung stattfand, bildete natürlich einen Festtag für Mademoiselle Angelique.
    Gerade in dem Augenblick, als die Tante eine letzte Runde um ihren Lehnstuhl gemacht hatte, um sich zu versichern, daß nichts von außen den im Innern verborgenen Schatz verrate, traten der Doktor und Pitou ein.
    Die Scene wäre rührend gewesen; doch in den Augen eines so richtigen Beobachters, wie der Doktor Gilbert, war sie nur grotesk. Als sie ihren Neffen erblickte, sprach die alte Frömmlerin ein paar Worte von ihrer armen teuren Schwester, die sie so sehr geliebt, und gab sich die Miene, als wischte sie eine Thräne ab. Der Doktor, der erst einen Blick in die tiefste Tiefe des Herzens der alten Jungfer werfen wollte, bevor er in Beziehung auf sie einen Entschluß fassen würde, hielt zum Schein Mademoiselle Angelique eine Rede über die Pflichten der Tanten gegen die Neffen. Doch in dem Maße, in welchem die Rede sich entwickelte und die Worte von den Lippen des Doktors strömten, trank das Auge der alten Jungfer die Thräne, die es befeuchtet hatte, alle ihre Züge nahmen die Trockenheit des Pergaments wieder an, mit dem sie bedeckt zu sein schienen. Sie hob die linke Hand bis zur Höhe ihres spitzigen Kinns empor und fing an, mit der rechten an ihren dürren Fingern die annähernde Zahl der Sous zu berechnen, die ihr das Vermieten der Stühle jährlich eintrug, so daß sie, da es der Zufall gefügt, daß die Rechnung zugleich mit der Rede geschlossen war, auf der Stelle antworten konnte: wiesehr sie auch ihre arme Schwester geliebt, und in welch hohem Grade sie auch Teilnahme für ihren Neffen hege, so gestatten ihr doch ihre geringen Einnahmen, trotz ihres doppelten Titels als Tante und Patin, keinen Zuwachs an Ausgaben.
    Der Doktor war übrigens auf diese Weigerung gefaßt gewesen, sie überraschte ihn daher nicht. Er gehörte zu den großen Parteigängern der neuen Ideen, und da der erste Band vom Werke Lavaters erschienen war, so hatte er die physiognomische Lehre des Philosophen von Zürich schon auf das hagere gelbe Gesicht von Mademoiselle Angelique angewendet.
    Aus dieser Untersuchung ergab sich für ihn folgendes: die kleinen, glühenden Augen der alten Jungfer, ihre lange Nase und ihre dünnen Lippen bieten die Vereinigung der Habgier, der Selbstsucht und der Heuchelei in einer Person.
    Die Antwort erregte bei ihm, wie gesagt, nicht das geringste Erstaunen. Als Beobachter wollte er jedoch sehen, wie weit die Frömmlerin die Entwickelung dieser drei gemeinen Laster treiben würde.
    Aber Mademoiselle, sagte er, Ange Pitou ist ein armes Waisenkind, der Sohn Ihres Bruders, und Sie können, im Namen der Menschlichkeit, den Sohn Ihres Bruders nicht der
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