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anderbookz Short Story Compilation

anderbookz Short Story Compilation

Titel: anderbookz Short Story Compilation
Autoren: Thomas M. Disch , Doris Egan , Gardner Dozois , Jack Dann , Michael Swanwick , Tanith Lee , Howard Waldrop , Katherine V. Forrest
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allein von den zwingenden Bedürfnissen ihrer speziellen Wesensart bestimmt wurde? Harper sagte: »Und du hast auf diesen Reisen keiner anderen Frau davon erzählt?«
    »Nur dir. Weil du die einzige bist, die der Wahrheit jemals so nahe gekommen ist.«
    Eine neue Befürchtung überkam Harper: »Warum verrätst du mir das alles? Hast du denn keine Angst, daß ich dich enttarne, deine ganze Fassade einreiße?«
    Drake sah sie aus müden Augen an. »Meine Fassade langweilt mich zunehmend. Meine Geduld gegenüber meiner eingeschränkten Existenz läßt merklich nach.«
    Harper nickte. Sie hätte an Drakes Stelle ihre Geduld schon vor Jahrhunderten verloren. Sie sagte: »Ich habe dein Quartier gesehen, wie finster es darin ist. Hast du wirklich einen Sarg da drin?«
    Drake lachte belustigt. »Dieser Teil der Sage ist etwas übertrieben. Es stimmt, daß wir tagsüber Dunkelheit brauchen, und völlige Finsternis bekommt uns am besten. Mein kleines Quartier, dieses winzige Schiff im riesigen All - das kommt einem Sarg schon sehr nahe. In meinem Quartier habe ich Erde von unzähligen Orten auf der Welt gesammelt, und ganz besonders viel von meinem Land. Wenn ich schlafe, häufe ich sie um mich herum. Sie scheint mir inneren Frieden zu geben.«
    Drake lächelte sie an. »Dir selbst zuliebe möchte ich dich eindringlich davor warnen, mich zu verraten. Ich bezweifle deine geistige Gesundheit nicht, aber andere werden es tun.«
    »Das stimmt«, sagte Harper und grinste bei dem Gedanken, was passieren würde, wenn sie jemandem von diesen erstaunlichen Ereignissen erzählte - besonders, da sie selbst nie ganz sicher war, nicht zu halluzinieren.
    »Wie dem auch sei, ganz sicher bin ich sowieso nie«, sinnierte Drake. »Ich weiß, wenn ich weiter am Leben bleibe, werden sie eines Tages kommen. Mit ihren Pfählen und Äxten, wie in meinem Dorf vor so vielen Jahrhunderten. Die Menschen glauben seit jeher, ihre eigene Epoche sei aufgeklärter als alle anderen zuvor. Aber noch immer vermeiden sie es, sich den Ursprung ihrer eigenen Nahrung vor Augen zu halten, ihre eigenen blutgetränkten Lebensmittel. Es gibt unzählige Tabus, aber Kannibalismus zählt noch immer zu den perversesten Auswüchsen menschlichen Daseins. Selbst jene, die nicht xenophob sind, würden zögern, einen Vampir zu tolerieren.«
    Sie blickte hinaus zu den wirbelnden Kristallen. »Eva hatte erfahren, daß Unsterblichkeit nicht gleichzeitig auch den Willen und Wunsch zum Leben mit sich bringt. Seit Jahrhunderten habe ich die Kraft zum Leben. Aber ich träume immer öfter vom Sterben, Harper. Ich träume von einer Reise zu einem ganz besonders schönen Sternsystem - vielleicht die Plejaden -, wo ich mein Schiff dann einfach auf einen der hübschen Sterne fallen lasse. Aber am meisten träume ich von einer Rückkehr auf die Erde.«
    Drake sah sie an; Harper war wie gebannt beim Anblick der gepeinigten Augen. »Ich träume von der Sonne, Harper. Ich sehne mich nach ihr. Oft frage ich mich, was passiert, wenn ich in die Sonne hinaustrete - ob ich einen Moment lang ihre Wärme spüren kann, so wie ich sie erinnere, wie ich sie kannte ... bevor sie die Zerstörung meines Fleisches beginnt ...«
    »Du hast zu viel zu geben ...« Harpers Stimme stockte; es gab keine tröstenden Worte für das maßlose Unglück von Drakes Existenz.
    »Ja«, sagte Drake mit leicht ironischem Unterton. »Wenn unsere Reise vorüber ist, Harper, wirst du auf Nimmerwiedersehen verschwinden und alles vergessen. Du hast keine Wahl.«
    »Weggehen muß ich«, sagte Harper langsam. »Aber vergessen werde ich dich nie.«
    Drakes Lächeln umhüllte sie zärtlich. »Diese Art von Unsterblichkeit erhoffen wir uns alle.«
    Harper blickte sie wehmütig an. »Wenn ich das alles doch nur schon früher erfahren hätte. Jetzt verbleiben mir zwei Monate - nur zwei Monate -, um von einem Augenzeugen die Weltgeschichte von acht Jahrhunderten zu erfahren.«
    »Ja«, sagte Drake mit plötzlichem Eifer in der Stimme.
    Auf einmal schien ihre Schönheit von einer jugendlichen Kraft und einem Glanz durchdrängt, und Harper sah sie liebevoll an. »Ich muß erst noch verdauen, was du mir alles gesagt hast«, sagte sie grinsend, »besonders die Tatsache, daß mein Körper deine Nahrung ist.«
    »Dein Körper ist nicht meine Nahrung«, korrigierte Drake sie sanft. »Deine Lust ist meine Nahrung.«
    »Ich weiß, ich schmecke nicht wie Haferschleim«, sagte Harper noch immer lächelnd. »Schmecke ich nach irgendeinem anderen
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