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anderbookz Short Story Compilation

anderbookz Short Story Compilation

Titel: anderbookz Short Story Compilation
Autoren: Thomas M. Disch , Doris Egan , Gardner Dozois , Jack Dann , Michael Swanwick , Tanith Lee , Howard Waldrop , Katherine V. Forrest
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abend bestimmt nicht verlassen - solange nicht, bis sie imstande war, die Scorpio IV aus dem Planetoidengürtel zu manövrieren.
    Auf der Konsole neben ihrem Bett wählte sie wieder die Schiffsbibliothek an. Erneut rief sie Vampire, Charakteristiken auf und las den Text noch einmal genau durch. Seufzend stellte sie den Computer wieder ab und legte sich, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, aufs Bett.
    Es gab sicher Möglichkeiten, sich zu verteidigen. Sie mußte bloß einen Holzpfahl in Drakes Herz stoßen oder ihren Kopf abhauen. Aber leider war ein Raumschiff weder mit Holzpfählen noch mit Werkzeugen zum Enthaupten ausgerüstet. Allerdings würde Drake in große Bedrängnis geraten, wenn Harper herausfand, wo ihr Sarg war und wie sie ihn zerstören konnte. Und da gab es auch noch das religiöse Ritual der Trads: Sie konnte die vor Angst zitternde Drake so lange mit dem Kruzifix in der Hand verfolgen, bis sie schließlich aus einer Luke springen würde, dankbar, dem entsetzlichen Objekt entkommen zu sein. Vielleicht konnte sie Drake ja auch mit einer Knoblauchkette um den Hals in Schach halten. Allerdings war Knoblauch in Raumschiffen aufgrund bestimmter Schicklichkeitsregeln nur beschränkt erlaubt.
    Mittlerweile hatte Harper sich durch herzhaftes Lachen Luft gemacht, das aber immer mehr in wilde Hysterie ausartete.
    Sie war bestimmt verrückt. Oder etwa nicht? Sie mußte es wissen. Weil sie etwas unternehmen mußte.

    Da ihr klar war, daß sie weder schlafen noch die Enge ihrer Kabine ertragen konnte, ging Harper hoch zum Aussichtsdeck. Sie wählte wieder die Schiffsbibliothek an und rief das Thema auf, das ihr so viel Kopfzerbrechen bereitete. Nach einer Weile begann sie hin und her zu laufen.
    »Guten Abend, Harper.«
    Ungläubig dreinblickend wirbelte sie herum. Sie mußte halluzinieren. Die noch vor vier Stunden vollkommen geschwächte und ausgezehrte Drake sah wieder aus wie zuvor. Vor ihr stand eine wunderschöne, vitale, hoheitsvolle Drake, deren Kräfte und Attraktivität vollkommen wiederhergestellt waren.
    Drake hielt einen Becher Tomatensaft in der Hand. Sie nippte daran, dann sagte sie ruhig: »Sobald meine Arbeit beendet ist, benötige ich nur ein paar Stunden zum Ausruhen. Ich erhole mich sehr schnell.«
    Ihren Blick auf den Becher in Drakes Hand geheftet, dachte Harper: Oder ist es vielmehr so, daß es jetzt Nacht ist und somit deine Zeit ...
    »Etwas Arbeit ist noch zu tun«, fuhr Drake fort, »dann sind wir bereit zum Abflug.«
    Dieser leichte Akzent in ihrer Stimme ... Drake ist Europäerin, sie stammt aus einem Ort nahe Bukarest ...
    »Bist du in Ordnung?« fragte Drake, die dunklen Augen leicht zusammengekniffen.
    »Ob ich in Ordnung bin?« wiederholte Harper. Sie beobachtete Drake, die leichtfüßig und würdevoll zu ihrem Sessel schritt.
    Entweder bin ich verrückt oder nicht - was letztendlich egal ist, denn ich habe nichts mehr zu verlieren ...
    Sie atmete tief durch: »Ist dir der Name Bram Stoker ein Begriff?«
    Drakes Gesichtsausdruck blieb unverändert. »Ein Historiker des neunzehnten Jahrhunderts.«
    »Ein Schriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts«, verbesserte Harper. »Er ist Autor eines Romans, der bis weit ins einundzwanzigste Jahrhundert gelesen wurde.«
    »Ein Historiker«, entgegnete Drake mit Nachdruck. »Und zudem ein recht beschränkter. Er schrieb in Form eines Romans die vagen Vorstellungen nieder, die er von einer ganzen Spezies hatte.« Sie fügte hinzu: »Ich bin sehr bewandert auf diesem Gebiet.«
    »Ich weiß.« Harper zeigte auf den hellen Computerbildschirm. Dann verschränkte sie ihre Hände fest ineinander, damit sie nicht zitterten. »Ich habe Tausende Nachschlagwerke in der Schiffsbibliothek gefunden.«
    Aus dunklen, unergründlichen Augen sah Drake sie eindringlich an.
    Harper mußte an eine berühmte Kurzgeschichte aus dem neunzehnten Jahrhundert denken, in der ein Mann zwischen zwei verhängnisvollen Türen wählen mußte. Aber hier ging es jetzt nicht um die Dame oder den Tiger; hier ging es um beide gleichzeitig ...
    »Ich bin zu der Überzeugung gelangt«, sagte Harper mit leiser, von der verzweifelten Wahrheit ihrer Worte gezeichneter Stimme, »daß entweder du eine ... eine Angehörige jener Gattung bist, über die Bram Stoker geschrieben hat, oder daß ich verrückt bin.«
    »Ich verstehe.« Drakes Stimme war sanft. »Worauf gründest du deine ... Überzeugung?«
    »Auf viele kleine Dinge«, flüsterte Harper. »Wie zum Beispiel gewisse
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