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Anbetung

Anbetung

Titel: Anbetung
Autoren: D Koontz
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anrede.
    Vielleicht glaubt sie, ich sei der Sohn eines entthronten Königs, der gezwungen ist, in misslichen Umständen zu leben, aber dennoch Respekt verdient.
    »Spät, ja, tut mir Leid«, sagte ich. »Es war ein merkwürdiger Morgen.«
    Sie weiß nichts von meiner besonderen Beziehung zu den Verstorbenen. Schließlich hat sie schon genug Probleme, ohne sich auch noch Sorgen wegen toter Leute zu machen, die zu ihrer Garage pilgern.
    »Kannst du sehen, was ich trage?«, fragte sie besorgt.
    »Blassgelbe Hosen. Eine Bluse in Dunkelgelb und Braun.«
    Sie stellte mir eine Falle. »Gefällt dir die Schmetterlingsspange in meinem Haar, Odd Thomas?«
    »Da ist keine Haarspange. Ihr Haar wird von einem gelben Band zusammengehalten. Schaut hübsch aus.«
    Als junge Frau muss Rosalia Sanchez auffällig schön gewesen sein. Mit dreiundsechzig hat sie ein paar Pfund zugelegt und sich die Fältchen und Runzeln einer reichen Erfahrung erworben. Nun strahlt sie die freundliche Demut und Sanftheit aus, die uns die Zeit lehren kann, und die liebenswerte Wärme eines fürsorglichen Charakters – Eigenschaften, die zweifellos auch die alternden Gesichter jener besonderen Menschen geprägt haben, die man später heilig gesprochen hat.
    »Als du nicht zur üblichen Zeit gekommen bist«, sagte sie, »da dachte ich, du wärst hier gewesen, ohne mich sehen zu können.
Und ich dachte, ich könnte dich auch nicht mehr sehen, weil du in dem Moment, als ich für dich unsichtbar geworden bin, auch für mich unsichtbar geworden bist.«
    »Hab mich bloß verspätet«, beruhigte ich sie.
    »Es wäre schrecklich, unsichtbar zu sein.«
    »Also, ich bräuchte mich dann nicht mehr so oft rasieren.«
    Wenn es um Unsichtbarkeit geht, verweigert Mrs. Sanchez sich jedem Humor. Ihr gutmütiges Gesicht verzog sich zu einem missbilligenden Stirnrunzeln.
    »Wenn ich Angst davor gehabt hab, unsichtbar zu werden«, sagte sie, »hab ich bisher immer gedacht, ich würde die anderen Leute immer noch sehen können, bloß die könnten mich nicht mehr sehen und hören.«
    »In diesen alten Filmen mit dem ›Unsichtbaren‹«, sagte ich, »kann man seinen Atem sehen, wenn er in richtig kaltem Wetter rausgeht.«
    »Aber wenn andere Leute für mich unsichtbar werden, sobald ich für sie unsichtbar bin, dann ist es so, als wäre ich der letzte Mensch auf der Welt, die ganz leer ist außer mir, und ich muss ganz allein umherwandern.«
    Sie schauderte. Der Kaffeebecher im Klammergriff ihrer Hände klapperte auf dem Tisch.
    Wenn Mrs. Sanchez über Unsichtbarkeit spricht, dann spricht sie über den Tod, wenngleich ich mir nicht sicher bin, ob ihr das klar ist.
    Das wahre erste Jahr des neuen Millenniums, 2001, ist für die Welt im Allgemeinen schon nicht gut gewesen, für Rosalia Sanchez war es eine reine Katastrophe. Es begann mit dem Tod ihres Mannes Herman in einer Aprilnacht. In jener Nacht ist sie neben dem Mann, den sie über vierzig Jahre lang geliebt hat, eingeschlafen – und neben einer kalten Leiche aufgewacht. Zu Herman war der Tod so sanft gekommen wie nur möglich, im
Schlaf, aber bei Rosalia hat der Schock, neben einem Toten aufzuwachen, ein Trauma ausgelöst.
    Weil sie später im selben Jahr immer noch um ihren Mann trauerte, verzichtete sie darauf, ihre drei Schwestern und deren Familien zu einer lange geplanten Reise nach Neuengland zu begleiten. Als sie am Morgen des 11. September aufwachte, hörte sie in den Nachrichten, dass die Maschine, mit der ihre Verwandten aus Boston zurückkehren sollten, bei einer der infamsten Schandtaten der Geschichte als Lenkflugkörper benutzt worden war.
    Kinder hatte Rosalia sich zwar gewünscht, aber Gott hatte ihr keine geschenkt. Herman, ihre Schwestern, ihre Nichten und Neffen waren der Mittelpunkt ihres Lebens gewesen. Nun hatte sie alle verloren, während sie schlief.
    Irgendwann zwischen September und Weihnachten ist Rosalia dann vor Gram etwas verrückt geworden. Auf stille Weise verrückt, weil sie ihr ganzes Leben still vor sich hin gelebt hatte und kein anderes Verhalten kannte.
    Seither weigert sie sich in ihrem sanften Wahnsinn zuzugeben, dass ihre Angehörigen tot sind. Sie sind für Rosalia nur unsichtbar geworden. In einer albernen Laune hat die Natur zu einem seltenen Phänomen gegriffen, das jeden Augenblick wie ein Magnetfeld aufgehoben werden kann, sodass all ihre verlorenen Lieben für sie wieder sichtbar werden.
    Was das Verschwinden von Schiffen und Flugzeugen im Bermuda-Dreieck angeht, kennt
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