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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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ein solides Mädchen, so rund wie groß, von schwer zu schätzendem Alter. Es war nicht auszumachen, ob sich unter ihrer Wickelstrickjacke kleine Brüste oder größere Fettansammlungen befanden – das Pink der Jacke bestand jedoch darauf, dass sie noch ein Kind war.
    Eine Frau überquerte die Grasfläche und redete leise auf sie ein, dann wartete sie und sprach erneut. Soweit ich sehen konnte, wurde es dadurch nur noch schlimmer. Megan und Jack schauten zu, in einem Zustand unbehaglichen, verstohlenen Entzückens. Sie liebten Krisen, diese zwei. Was wiederum mir zu denken gab: Wie viel Gebrüll und Aufruhr mochten sie zu Hause erleben?
    Fiona hatte sich halb aus ihrem Stuhl erhoben, wirkte aber unsicher. Selbst der Vater des Kindes hielt sich zurück. Auf dem Weg vom Parkplatz war das Mädchen vorausgelaufen. Nun stand er ein Stück abseits und wartete darauf, dass der Anfall verebbte. Ich weiß noch, wie ich dachte, jemand solle sich endlich erwachsen verhalten: sich vorstellen, Getränke anbieten. Also winkte ich. Und er zuckte mit den Achseln und kam herüber, und einen Augenblick lang schien es, als sei der Rest der Welt in ein Zeitlupentempo verfallen, und wir stünden daneben, frei.
    Es war Seán. Natürlich. Besser aussehend, als ich ihn in Erinnerung hatte, gebräunt und mit längerem, gelocktem Haar. Von vorn betrachtet sogar ein bisschen frech, ein bisschen zu ironisch. Als würde er mich kennen, was, wie ich ihm unbedingt sagen wollte, nicht der Fall war. Jedenfalls noch nicht. Wir waren also schon beim »Und, was ist?« angelangt, noch bevor sein Hosenboden die gestreifte Baumwollbespannung des Klappstuhls berührte.
    Wenn ich mir all das in Erinnerung rufe – die Unmittelbarkeit des Ganzen, das kopulatorische Knistern in der Luft –, verblüfft es mich, dass fast ein weiteres Jahr verging, ehe wir zur dreisten Tat schritten, ehe wir die Häuser um uns her zum Einsturz brachten: das Reihenhaus, das Ferienhaus, die Doppelhaushälfte. So viele Hypotheken. Auch den Himmel zerrten wir herab, bis er uns wie ein Tuch bedeckte.
    Blackout.
    Vielleicht machte er es ja bei allen Frauen so.
    Ich muss ein Stück zurückrudern und sagen, dass es auch andere Dinge gab, die in unserem Leben hätten vorfallen können. Wir hätten es auch heimlich tun können. Ich meine, niemand brauchte es zu wissen.
    Doch dort im Tageslicht des Campingplatzes jaulte Evie noch immer, Aileen murmelte in bestimmtem, gleichmäßigem Ton etwas daher, während Fiona sich wie ein Blödel zu Seán umwandte und ihn fragte: »Meinst du, sie möchte vielleicht ein Eis?«
    Seán zuckte zusammen. Unsere Kinder, deren selektives Gehör es mit dem von Fledermäusen aufnehmen konnte, kamen über den Rasen gelaufen, und Evie humpelte halbherzig-hoffnungsvoll hinter ihnen her.
    »Ich fürchte, Evie isst kein Eis«, sagte Seán. »Nicht wahr, Evie?« Die Flipflops gegen die Brust gepresst, blieb sie stehen und sagte nach einer langen, fürchterlichen Pause: »Nein.«
    Bei dem Gerangel, das folgte, saß er da und hielt sie im Arm. Es endete damit, dass Megan und Jack auf die andere Seite des Wohnwagens verbannt wurden, um das ihnen halb versprochene Eis dort, außer Sichtweite, zu verspeisen. Er ist nicht besonders groß, Seán. Er wiegte es, dieses umfängliche Kind, durch fernes und eingebildetes Geschlürfe und Gesauge hindurch – mir war inzwischen selbst nach einem verdammten Eis zumute –, während Fiona sich mit Aileen über Tagesmütter und Krippenpreise unterhielt und ich dachte: Wäre es nicht besser, dem Kind einfach eine zu scheuern? Wäre das nicht schneller und menschlicher?
    Ich übertreibe. Natürlich.
    Evie war ein relativ normales achtjähriges Mädchen, Aileen kein Ungeheuer der Besonnenheit, Seán ein Geschäftsmann mit einer zu scharfen Bügelfalte in seiner Sommerhose. Es war ein netter, langweiliger Tag. Nach dem Mittagessen zog Conor sich den Hut übers Gesicht und schob das T-Shirt hoch, um seinen braunen, behaarten Bauch in der Sonne zu wärmen. Ich faltete, wie früher in der Schule, einen Bogen Papier, sodass er sich nach Art eines Vogelschnabels mit Zeigefinger und Daumen öffnen und schließen ließ, erst vor, dann seitlich nach außen, und Megan und ich spielten Himmel und Hölle, Stell dir vor, Du stinkst, Pillepalle und, verborgen unter der letzten Lasche, Wahre Liebe. Nach langwierigen Verhandlungen durften sich Evie und Jack im Wohnwagen eine DVD anschauen. Etwas anderes schien ihnen nicht einzufallen.
    Im Verlauf
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