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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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nach zu schließen seit 1965 keine Gefühle mehr ausgedrückt hatte? Ich weiß es nicht. Außerdem hat die Kirche, die ebenso gut auch einen florierenden Handel mit Kirschblüten hätte treiben können, ein äußerst kurioses Kruzifix aufzuweisen, das hoch über dem Altar hängt. Ein riesiges Ding aus Holz. Die nicht übermäßig blutrünstige Christusgestalt hängt nicht nur auf der Vorderseite des Kreuzes, sondern auch auf der Rückseite – dies für Leute, die hinter dem Altar landen. Und während der gesamten Zeremonie war ich abgelenkt, so wie mich dieser doppelte Jesus, Rücken an Rücken wie sein eigenes Spiegelbild, schon als Kind abgelenkt hatte. Als ich so dastand, in meiner zweihundertzwanzig Euro teuren Unterwäsche, vom Kleid ganz zu schweigen, wollte ich nur sagen: »Was haben die sich dabei nur gedacht?« Das war lediglich eine abgeschwächte Version der Gedanken, die mir in dieser Kirche schon immer durch den Kopf geschossen waren – jene formlosen Obszönitäten, die mich während meiner Schulzeit geplagt und vermutlich mit dem Begräbnis meines Vaters begonnen hatten, als ich dreizehn war. Nun stand ich vollkommen erwachsen an genau der Stelle, wo einst sein Sarg aufgebahrt war (sein Geist wehte kopfüber durch meine Wirbelsäule), und bereute, ein Bustier gewählt zu haben statt eines Taillenformers. Und der Priester fragte:
    Willst du?
    Und ich antwortete:
    Ja.
    Und Conor lächelte.
    Draußen schien die Sonne, der Fotograf winkte, und die glänzenden schwarzen Karossen auf dem Kirchhof stupsten einander an.
    Wir ließen es uns gut gehen. Die siebenhundert Cousins und Cousinen aus Youghal und mein Onkel aus Brüssel. Infolgedessen hatten wir, Conor und ich, ungeheure Mengen an Sex und Flitterwochen in Kroatien (billig nach all dem Geprasse), und eines Morgens wachten wir wieder in Clonskeagh auf: verkatert, übermütig und furchtlos.
    Im Jahr darauf, in den beiden Jahren darauf, war ich glücklicher, als ich je gewesen war.
    Das weiß ich. Trotz der Verbitterung, die folgen sollte, weiß ich, dass ich glücklich war. Wir schufteten wie wild und feierten, wann immer wir konnten. Meist fielen wir nach einem harten Arbeitstag ins Bett, nachdem wir zuvor noch rasch etwas hinuntergekippt hatten. Chardonnay lag damals schon hinter mir – nennen wir es die Sauvignon-Blanc-Jahre.
    Conors Einkünfte schnellten jäh in die Höhe, als er ein Reiseunternehmen an Land zog, das online gehen wollte. Mittlerweile arbeitete er mit anderen Leuten zusammen, man könnte sogar sagen: für andere Leute – aber ich weiß nicht, ob ihn das kümmerte. Das Internet war wie geschaffen für Conor und sein Interesse an allem und jedem, ohne sich auf irgendetwas festlegen zu können. Er verbrachte Stunden – Tage – vor dem Bildschirm, dann sprang er plötzlich vom Stuhl auf, lief in die Stadt, radelte zum Forty Foot, wo er schwamm: im kalten und im warmen Meer, unter heftigem Planschen und Platschen. Bei Conor war alles immer ein bisschen zu viel. Er trug zu viele Kleidungsstücke, und wenn er nackt war, stieß er tiefe Seufzer aus, rieb sich die Brust und furzte gewaltig, während er pinkelnd im Badezimmer stand. Und am Ende ƒ habe ich es ihm irgendwie nicht mehr abgenommen. Am Ende habe ich ihm – und das mag eigenartig klingen – überhaupt nichts mehr abgenommen, hielt alles für gespreiztes Getue, heiße Luft.

Sunny Afternoon
     
    Doch das kam später. Oder vielleicht war es auch schon passiert, vielleicht passierte es die ganze Zeit. Womöglich wären wir für den Rest unseres Lebens auf diesen Parallelspuren von Glauben und Nicht-Glauben nebeneinander hergelaufen. Ich weiß es nicht.
    Doch da wir, Conor und ich, uns im Düsentempo bewegten, waren wir glücklich, vernünftig verheiratet, verheiratet, verheiratet. Als ich Seán das nächste Mal sah, hatte ich ihn vollkommen vergessen. Das war 2005. Da wir unsere Hypothek abtragen mussten, saßen wir einen weiteren Sommer zu Hause fest und fuhren an einem Feiertag nach Brittas Bay, um Fiona zu besuchen.
    Sie verbrachte vier oder fünf Wochen dort mit den Kindern, während Shay hinzukam, wann immer es ihm möglich war – das heißt, wann immer es ihm passte. Dazu muss man wissen, dass Shay damals in Geld schwamm, sodass die beiden nicht nur ein Haus in Enniskerry, also praktisch auf dem Land, besaßen, sondern noch dazu, nur ein paar Meilen enfernt, dreißig Minuten mit dem Auto, einen Wohnwagen auf einem piekfeinen Stellplatz am Meer. Das waren mal eben –
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