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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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beibehalten wird. Über die Brücke der Jahre hinweg könnte ich Aileen jetzt zuwinken, und sie würde mich mit mehr oder weniger demselben Blick wie damals bedenken. Denn auch sie durchschaute mich. Auf Anhieb. Und obwohl sie lächelte und sich korrekt verhielt, entging mir nicht ihre innere Anspannung.
    Aileen, so könnte man sagen, hat sich nicht weiterentwickelt.
    Was mich betrifft, bin ich mir auch nicht so sicher. Irgendwo oben am Haus gibt die Marshmallow-Frau ein zu heftiges Lachen von sich, Conor hält sich woanders auf, Aileens Papierserviette in geschmackvollem Limettengrün wird bald auf Evies klebriger Haut ihre Fetzen hinterlassen und Seán in meine Richtung blicken. Aber noch nicht. Im Augenblick atme ich nur aus.

Love Is Like a Cigarette
     
    Beginnen wir mit Conor. Conor ist einfach. Sagen wir, er ist bereits eingetroffen, an jenem Nachmittag in Enniskerry. Als ich wieder in die Küche gehe, ist er da, hängt herum, hört zu, amüsiert sich. Conor ist klein und kräftig, und im Sommer 2002 ist er das, was ich mir unter Spaß vorstelle.
    Conor zieht sein Jackett nie aus. Unter dem Jackett ist eine Strickjacke, dann kommt ein Hemd, danach ein T-Shirt und darunter eine Tätowierung. Den breiten Riemen seiner Tasche hat er um die Brust geschlungen, sodass alles gut festgezurrt ist. Er schnorrt. Dieser Mann hört nie auf, seine Umgebung zu erkunden, als wäre er auf Nahrungssuche. Wenn Speisen in der Nähe sind, wird er sie verzehren – aber ordentlich, auf kluge, aufmerksame Art. Seine Augen wandern über den Fußboden, und wenn er aufblickt, dann mit großem Charme: Etwas, was du gesagt hast, erweckt sein Interesse, er findet dich witzig. Der Typ mag geistesabwesend wirken, aber er ist immer bereit, sich zu amüsieren.
    Ich habe Conor geliebt, also weiß ich, wovon ich rede. Er stammt aus einer Familie von Ladenbesitzern und Gastwirten in Youghal, daher gefällt es ihm, Leute zu beobachten und zu lächeln. Das mochte ich an ihm. Und ich mochte seine Tasche, sie war modisch, und auch seine Brille war modisch, mit dickem Rand wie in den Fünfzigern. Und er rasierte sich den Kopf, was ich normalerweise gar nicht mag, aber ihm stand es, denn seine Haut war braun und sein Schädel ansehnlich. Sein Hals war breit, sein Rücken gewölbt, von den Schultern abwärts sprossen Haare. Was soll ich sagen? Bisweilen überraschte es mich, dass der Mensch, den ich liebte, so fantastisch männlich aussah, dass seine Muskelschichten mit straffen Fettschwarten bedeckt waren und sein ganzer Körper – sämtliche eins fünfundsiebzig, Gott steh uns bei – mit Haaren bekräuselt, sodass seine Konturen verschwammen, wenn er sich auszog. Niemand hatte mir gesagt, dergleichen könnte einem gefallen. Aber mir gefiel es.
    Conor hatte gerade seinen Master in Medienwissenschaften gemacht und war auf dem besten Weg zum Computerfreak. Auch ich war irgendwie im IT-Bereich tätig, ich arbeite meist mit europäischen Firmen, übers Internet. Sprachen sind mein Ding. Leider nicht die romanischen, ich habe es mehr mit den Bierländern als mit den Weinländern. Dabei finde ich Umlaute richtig sexy, weil man die Lippen dabei so schürzen muss. Und diese ganzen skandinavischen »ü«-, »ö«- und »ä«-Laute verursachen mir eine Gänsehaut. Einmal war ich mit einem Norweger namens Axel zusammen, nur um ihn »snøord« sagen zu hören.
    Aber mit Conor bin ich ausgegangen, weil es Spaß machte, und verliebt habe ich mich in ihn, weil es das einzig Richtige war. Wie ist das möglich? Dass er in all der Zeit, als ich ihn kannte, nicht ein einziges Mal grausam war?
    Es bedurfte keiner großen Entscheidung, ein Haus zu kaufen, es war einfach sinnvoll. Australien war unsere letzte große Sause, danach ging alles für Anzahlungen, Hypothekenversicherungen, Stempelsteuern und Anwaltsgebühren drauf – Allmächtiger, die haben uns ausgenommen, bis wir quiekten. Ich kann mich nicht entsinnen, wie sich das auf unsere vermeintliche Liebe ausgewirkt hat. An die Nächte erinnere ich mich nicht. Unsere Liebe fand ohnehin eher bei Tag statt; Conor ging regelmäßig zum Windsurfen am Seapoint, und wenn er zurückkam, roch er nach Pommes frites und Meer. An Samstagnachmittagen stapften wir in den Häusern anderer Leute herum: Fünf-Zimmer-Doppelhaushälfte, viktorianisches Reihenhaus, Penthousewohnung. Wir standen vor Kaminsimsen aus den Dreißigerjahren und betrachteten sie mit halb zugekniffenen Augen. Oder wir wanderten in verschiedene Zimmer, jeder
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