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Anastasija 06 - Widrige Umstände

Anastasija 06 - Widrige Umstände

Titel: Anastasija 06 - Widrige Umstände
Autoren: Alexandra Marinina
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Stromschlag typischen Verletzungen festgestellt. Das legt die Vermutung nahe, dass es sich um einen fingierten Unfall handelt, der Tod durch Stromschlag nur vorgetäuscht wurde. Der Verdächtige wurde nach Paragraph hundertzweiundzwanzig festgenommen.«
    Und nun tat Knüppelchen etwas, das alle überraschte. Er stellte keine einzige Frage, erteilte keinerlei Anweisungen. Er beendete die Besprechung einfach.
    »Alles klar. Danke. Ihr könnt alle gehen, bis auf Kamenskaja. Anastasija, komm raus aus der Ecke.«
    Mit diesen Worten kam Gordejew hinter seinem massiven Schreibtisch hervor und lief im Zimmer auf und ab. Er konnte nicht lange stillsitzen. Nastja verließ die Ecke, in der sie die ganze Sitzung stumm verbracht hatte, und setzte sich in einen Sessel am Fenster.
    »Das Raskolnikow-Syndrom, ist das dein Werk?« Knüppelchen blieb kurz stehen und sah Nastja stirnrunzelnd an.
    »Ja«, bestätigte Nastja leise. »Gefällt Ihnen das nicht?«
    »Und Schumilin, ist das auch dein Werk?« Der Chef ignorierte ihre Frage, obwohl er genau wusste, wie sehr Nastja auf ein Wort der Anerkennung wartete.
    »Ja, auch.« Ihre Stimme zitterte.
    »Und warum soll der Verdächtige im Fall des Models im eigenen Saft schmoren? War das dein Rat?«
    »Viktor Alexejewitsch, ich dachte, dass . . .«
    »Ich weiß«, unterbrach Gordejew sie. »Du hast es mir gesagt. Ich habe noch keine Sklerose.«
    Nastja befürchtete, jeden Augenblick loszuheulen. Wahrscheinlich war der Chef unzufrieden mit ihr, sie enttäuschte seine Hoffnungen. Jede Dienstbesprechung war für Nastja Kamenskaja eine Folter, eine peinliche Qual, sie fühlte sich wie auf einem Pulverfass, das beim geringsten Fehler, den sie machte, explodieren konnte, und dann würden alle sie auslachen, mit dem Finger auf sie zeigen und sagen: »Seht sie euch an, die Kamenskaja, unsere Vornehme, macht keine Verbrecherjagd mit, keine Festnahme, wird nie in kriminelle Gruppen eingeschleust – sitzt bloß im warmen Büro rum, trinkt Kaffee und mimt den genialen Nero Wolfe!« Nastja wusste, dass viele nicht nur so dachten, sondern hinter ihrem Rücken auch so redeten. Andererseits arbeitete sie schon so lange bei Gordejew und konnte inzwischen viele wirklich erfolgreiche Entdeckungen und kluge Lösungen für sich verbuchen, auf die sie stolz war. Natürlich hatte es auch Irrtümer gegeben, aber davon war die Welt nicht untergegangen und das Pulverfass nicht explodiert.
    Äußerlich wirkte Nastjas Arbeit tatsächlich wie reines Herumsitzen im Büro. Gordejew hatte sie aus der Kreisverwaltung zu sich geholt, nachdem Nastja zwei Tage lang die Kriminalitätsstatistik der Stadt analysiert und plötzlich erklärt hatte, im Norden Moskaus gebe es einen Homosexuellen, der unkontrollierten Zugang zu Drogen habe. Sie begründete ihre Schlussfolgerung damit, dass in diesem Teil Moskaus die Anzahl der von minderjährigen Mädchen begangenen Diebstähle schneller zunahm als die, bei denen die Täter Jungen waren, woraus sie folgerte, dass dort etwas angeboten wurde, das für Minderjährige äußerst verlockend war und wofür Jungen und Mädchen unterschiedlich zahlten. Diesem Gedanken folgend, stieß Nastja, wie sie meinte, rein intuitiv auf die Wurzel des Übels. Es gab viel Gelächter und Spott, die Geschichte wurde zur Anekdote, die auch in die Petrowka 38 gelangte. Gordejew war der Einzige, der nicht darüber lachte. Einige Zeit später ging er ins Drogendezernat und von dort geradewegs zur Personalabteilung. Der Mann, den Nastja ersonnen hatte, existierte tatsächlich.
    Gordejew hatte Nastja nur zu einem Zweck zu sich geholt: Er wollte in seiner Abteilung einen eigenen Analytiker haben. Nastja konnte tatsächlich vieles nicht: Sie trieb keinen Sport, konnte nicht schnell laufen, nicht schießen, beherrschte keinen Kampfsport. Dafür konnte sie denken und analysieren. Ein Dummkopf, wer da glaubte, das könne schließlich jeder, dafür brauche man keine besonderen Fähigkeiten. Ja, neunundneunzig von hundert Ringen zu schießen, das sei etwas! Gordejew, der kein Dummkopf war und vor allem niemanden fürchtete, stellte Nastja als Chefinspektorin ein, und hatte es nie bereut. Nastja bearbeitete alle Fälle, in denen die Mitarbeiter von Gordejews Abteilung ermittelten. Sie stellte Hypothesen auf und entwickelte Methoden zu ihrer Überprüfung, analysierte Berge von Informationen und dachte nach. Sie hatte ein phänomenales Gedächtnis und die Fähigkeit, daraus im Nu die notwendigen Informationen
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