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Anarchy in the UKR

Anarchy in the UKR

Titel: Anarchy in the UKR
Autoren: Serhij Zhadan
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ich. Ihr müßt anschieben, sagte er, der Motor hat Macken. Wir stiegen aus und fingen an zu schieben, witzig, dachte ich, wer bezahlt hier eigentlich wen? Na ja, er würde uns wohl kaum was zahlen.
    An der Tankstelle war eine Schlange. Er wollte sich, wie es aussah, nicht anstellen, beschimpfte die Autofahrer, beschimpfte den Tankwart, kritisierte die Weltordnung im allgemeinen, was nun? fragte ich, Moment, Moment, rief er nervös, los, sagte er schließlich, denn er hatte offenbar einen Entschluß gefaßt. Was? Anschieben! Wir stiegen aus und schoben die Klapperkiste wieder an, der Motor heulte auf, er trat aufs Gas, wendete und fuhr zurück Richtung Guljaj-Pole. He, rief ich genervt, was soll das? Moment, Moment, wiederholte er nur. Der Lada raste in die Stadt hinein. Die erste Kreuzung schaffte er nicht, geriet auf den Fußweg und fuhr dort weiter. Dann lenkte er doch wieder auf die Straße zurück. Ab und zu schaute er beunruhigt, ob ich die Bierflasche noch hielt. Tat ich. Entschlossen jagten wir durch die Stadt, an unserem Hotel vorbei, davor saß seelenruhig die Zeitungsverkäuferin, verwegen ließen wir Bahnhof und Stadion links liegen, hupten an einem Café und jagten in einen Außenbezirk, ich dachte, der Typ hätte sich verfahren, er durchpflügte die Stadt wie ein Delphin die Wasserfläche und erschreckte die krummbeinig watschelnden Mütterchen, die vom Markt mit dem Rest Selbstgebrannten zurückkamen, er hupte Vögel und Engel an, die nicht schnell genug zur Seite sprangen und ins Motorgetriebe gerieten, wovon sich der Kühler mit Blut füllte, die Kiste aufheulte und verreckte.
    Aber am anderen Ende der Stadt gab es auch eine Tankstelle. Wir tankten voll, drehten um, rasten wieder zurück, überquerten die Brücke und fuhren nach Süden. Das Bier hatten wir mit ihm zusammen ausgetrunken. Er war wirklich nicht gut drauf. Von Zeit zu Zeit schlug er sich mit der Hand vor die Stirn, aus Verzweiflung und Selbstmitleid, als wollte er sich sagen, da hast du, weil du deine Probleme nicht in den Griff kriegst, da hast du, außerdem wäre er, wenn er sich nicht selbst geschlagen hätte, mit Sicherheit eingeschlafen, aber so rüttelten ihn die kurzen, kräftigen Schläge aus dem Schlaf und uns aus der Schreckstarre. Ich versuchte, mich mit ihm zu unterhalten, das Radio lauter zu drehen, um den Schlaf von ihm abzuhalten, der sich wie eine schwere Nebelwolke auf sein Bewußtsein legte, aber er hatte das im Griff, er hatte alles im Griff und kriegte alles mit, irgendwann verstand ich ihn – okay, hatte er gedacht, da hab ich normale Typen aufgegabelt (er meinte uns), ich fahre sie an ihr Ziel, wende, bringe das Aas um, repariere den Lada und gehe zum Friseur, okay. Aber das Bier hatten wir schon ausgetrunken, die Musik beruhigte ihn nicht, deshalb war es nicht verwunderlich, daß er in diesen Sonnenstrahlen einschlief, in der Augustsonne, die von Wolken getränkt war wie von Saft, zwischen den zwei Kleinstädten, von denen wir die eine für immer verlassen hatten und in der anderen anzukommen kaum zu hoffen wagten. Wir wären wohl auch eingeschlafen, hätte nicht er am Steuer gesessen.
    Es war eine merkwürdige Fahrt, merkwürdig in jeder Hinsicht – die Straße war merkwürdig, sie wurde immer schlechter, und der Tag war merkwürdig, er dauerte so lange, daß ich schon dachte, er geht für uns gleich hier und jetzt zu Ende, unser Fahrer nahm sich seine Schwierigkeiten so merkwürdig tief zu Herzen, daß ich ihm nicht einmal sagen konnte, los, Alter, halt an, laß uns aussteigen aus deiner Kiste, und du steigst am besten gleich mit aus, wo willst du denn in dem Zustand hin? Ich konnte einfach nicht, das hätte ihm den Rest gegeben, fremden Wahnsinn mußt du respektieren, wer weiß, wie du dich in ein paar Jahren in der Öffentlichkeit aufführst. Er fuhr Schlangenlinien, kam auf die Gegenfahrbahn, nickte ein und schlug sich immer wieder mit der Hand vor die Stirn, er war eisern zu sich, ließ nicht locker, bis wir plötzlich unerwartet wohlbehalten in unsere kleine Stadt einfuhren, bei der Gelegenheit eine Schar Pioniere auf Fahrrädern von der Straße jagten und vor dem Busbahnhof anhielten. Schaffst du es denn zurück? fragte ich. Na klar, er wußte nicht recht, was ich wollte. Na, dann, danke, sagte ich. Kein Problem, macht's gut, er verabschiedete sich von uns ohne Bedauern und Hoffnung auf ein Wiedersehen, als hätten wir nicht gerade eine fast vierzig Kilometer lange Todesstrecke mit ihm zurückgelegt. Sein
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