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Analog 04

Analog 04

Titel: Analog 04
Autoren: Hans Joachim Alpers , Hans Joachim (Hrsg.) Alpers
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auf. „Wenn der Besucher aus dem Himmel Shi’Lor suchen will und wenn er dazu das Licht, das man in der Hand tragen kann, mitnimmt, dann wird Ferilara mit ihm gehen.“ Er nahm einen der reparierten Speere auf. „Der älteste Sohn fürchtet den Regen nicht.“
    Martina sah den Häuptling fragend an. „Sind alle damit einverstanden?“ sagte sie.
    „Einverstanden“, antwortete der Häuptling.
    „Die Sucher werden zum heiligen Hain gehen“, sagte Ferilara. „Vielleicht werden sie Shi’Lor unterwegs begegnen.“
    Martina holte eine Taschenlampe hervor, mit der sie den Weg ausleuchtete. Ferilara benötigte eigentlich kein Licht, denn seine Augen konnten sich an strahlendes Sonnenlicht und schwarze Finsternis anpassen. Doch der Schein würde vielleicht Shi’Lors Aufmerksamkeit erregen. Wenn sie ihn sah, würde sie wissen, daß Freunde in der Nähe waren.
    „Fürchtet Ferilara, daß Shi’Lor verletzt sein könnte?“ fragte Martina. Sie versuchte, von einem Pflanzenbüschel zum nächsten zu springen und nicht in die schlammigen Löcher dazwischen zu geraten.
    „Es könnte sein“, erwiderte er. Er ging schnell voran, und der unebene Boden schien ihn nicht zu behindern. Seine Augen hielten rastlos nach allen Seiten Ausschau. In dieser Finsternis war seine Sehfähigkeit der Martinas weit überlegen. Jack hatte ihr erzählt, daß die Augen der Jinrah anpassungsfähiger waren als die einer irdischen Katze. „Es war töricht von ihr, nach Sonnenuntergang im heiligen Hain zu bleiben. Der älteste Sohn denkt, daß sie noch nicht reif für den Erwachsenenstand ist, auch wenn sein Vater anders entschieden hat.“
    „Sie besitzt eine Waffe“, sagte Martina. „Der Besucher von den Sternen hat gesehen, daß sie damit umzugehen versteht.“
    „Gegen den Regen gibt es keine Waffe.“
    Martina dachte über seine letzten Worte nach, versuchte, aus ihnen schlau zu werden. „Der Älteste redet so, als … wäre der Regen ein Feind und nicht einfach Wasser, das aus dem Himmel fällt. Wie sollte der Regen ihr schaden können?“
    „Es ist nicht gut für eine Frau, im Regen draußen zu sein.“
    „Wieso ist es nicht gut?“
    „Es ist überhaupt nicht gut für eine Frau.“
    „Aber den Männern schadet es nichts?“
    Sie hatte ihn angesehen und nicht auf den Weg geachtet. Jetzt strauchelte sie und wäre mit dem Gesicht in den Schlamm gefallen, wenn er sie nicht am Ellenbogen gehalten hätte. „Die Sucher sind im Regen sicher“, sagte er, „wenn sie darauf achten, wohin sie treten.“ Es schien ihr, daß ein amüsierter Unterton in seiner Stimme mitschwang.
    Sie war auf ein weiteres Tabu gestoßen. Diesen Verdacht hatte sie schon gehabt, als sie Aros Worte hörte. „Es ist nicht gut“, so lautete der immer wiederkehrende Satz, der auf ein Verbot hinwies, über das es nichts zu diskutieren gab. Bisher hatte sie nur gesehen, daß die Jinrah Regendächer bauten, und daraus geschlossen, daß sie nicht gern naß werden wollten. Wem gefiel das schon? Die Wissenschaftler selbst gingen nur deshalb auch im Regen ins Freie, weil sie jede Minute ihres Aufenthaltes nutzen mußten.
    Der Regen war inzwischen heftiger geworden; das Wasser sammelte sich schneller auf dem Boden, als es abfließen konnte. Jede kleine Vertiefung im Boden hatte sich in eine Pfütze verwandelt, und Martina und Ferilara plantschten hindurch, manchmal bis zu den Fußknöcheln im warmen Wasser, manchmal noch tiefer.
    Ferilara sah Shi’Lor zuerst. Sie kroch über den Boden Er lief los, mit weiten Sprüngen ließ er Martina hinter sich. Als sie die beiden Jinrah erreichte, half er Shi’Lor gerade auf die Füße. Das Mädchen bot einen erbarmungswürdigen Anblick. Ihr dichtes Körperhaar triefte vor Nässe und war zu schlammigen Strähnen verklebt, ihre Arme hingen schlaff herab, und sie wirkte völlig benommen.
    „Sie ist gefallen“, murmelte Shi’Lor elend. „Der Boden war so schlüpfrig, da ist sie ins Wasser gefallen.“ Ferilara stieß sie vorwärts. Sie tat ein paar unsichere Schritte in Richtung auf das heimatliche Dach, doch Ferilara ging es zu langsam voran. So warf er sich das Mädchen über die Schulter, und Martina trug seinen Speer zurück zum Regendach des Häuptlings.
    Die ganze Familie war entsetzt. Die erwachsenen Frauen drängten sich mit ihren Töchtern in einer Ecke zusammen, so weit von Shi’Lor entfernt, wie es eben ging. Die Männer jedoch bildeten einen Kreis um das unglückliche Wesen und beschimpften es wegen seiner Dummheit.
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