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An den Rändern der Zeit, Teil 2 (German Edition)

An den Rändern der Zeit, Teil 2 (German Edition)

Titel: An den Rändern der Zeit, Teil 2 (German Edition)
Autoren: Antje Ippensen
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etwas herangepflügt, etwas, was wie ein runzliger weißer Baumstamm aussah. Es beschleunigte und sperrte auf einmal einen schmutzigrosa Rachen auf. Grässliche Doppelreihen von Zähnen wurden sichtbar.
    Oi reagierte reflexhaft und warf sich gegen das Ungetüm, das jedoch erstaunlich gewandt war, fast wie eine Schlange, und immer wieder nach den Kindern schnappte. Faruk hinkte schon davon und versuchte, die vor Entsetzen wie gelähmte Bonea mit sich zu ziehen – erst als Oi von einem Schlag des geschuppten bleichen Schwanzes erwischt wurde, schrie sie durchdringend auf und konnte sich wieder bewegen. Faruk zerrte an ihrem Arm, sie stolperte ihm nach. Der Junge strebte keuchend der Eisenleiter zu, und kurz darauf waren er und Bonea schon mehrere Meter hochgeklettert.
    Oi wankte unter dem Hieb, stürzte jedoch nicht, und es gelang ihm, den nun auch nach ihm schnappenden Zähnen zu entgehen. Er hörte Bonea von irgendwo seinen neuen Namen rufen, wild, es hallte metallisch wider, und platschend stampfte er durch das stinkende Wasser hinter den Kindern her. Er nahm sich nicht die Zeit, auf den schmalen, erhöhten Sims zu klettern, der am Rand der Abwasserrinne verlief. Grauen erfüllte ihn, wenn er daran dachte, dass das VIEH ihn jeden Moment von hinten packen könnte … dann denk halt nicht daran, schalt er sich selbst. Sonst denkst du doch auch wenig oder extrem langsam. Also bitte …!
    Kein zermalmender Biss kam von hinten. Der Albinoalligator musste aufgegeben haben. Die Kinder warteten nicht auf Oi, und er konnte es ihnen nicht verübeln.
    So kam es, dass die beiden vor ihm an der Oberfläche auftauchten. Es war inzwischen heller Tag, und sie kniffen geblendet die Augen zu schmalen Schlitzen.
    „Ihr seht ja aus wie zwei kleine Ratten! Was habt ihr da unten gemacht, he?“
    Bonea zuckte beim groben Klang dieser Stimme zusammen und packte Faruks Hand fester. Sie spürte, wie er zu zittern anfing, was auch nicht erstaunlich war: Ein finster blickender Mann in Uniform musterte sie, und um ihn herum bildete sich bald ein Kreis von Schaulustigen – mehr und mehr Leute strömten hinzu und umringten die Kinder.
    „Na, was ist? Wollt ihr nicht antworten, ihr Strolche? Wo sind eure Eltern?“ Das war wieder der Uniformierte; ein silbernes Schild wies ihn als ORDNUNGSKRAFT aus. Es klang irgendwie netter als POLIZIST, aber Faruks Reaktion sagte Bonea schon genug.
    Antworten? Was sollte sie sagen? SAGEN musste sie etwas, sonst hielt er sie am Ende noch für taub!
    „Ich … ich … wir …“, stammelte sie und hatte plötzlich mehr Angst vor den Menschen hier als selbst vor den bösesten Skinheads, der gefürchtetsten Horde im Outland. Wo blieb nur Two Vocals? Sie ließ flüchtig ihre Blicke über die Gesichter ringsum schweifen und entdeckte kein einziges freundliches. Jetzt zogen die Neugierigen ihren Kreis immer enger um die zwei schmutzigen, nach Kanalisation stinkenden Kinder. Bonea spürte ein Würgen in der Kehle, und ihr fiel nichts ein. Kein Wort. Ihr fiel absolut nichts ein.
    Im nächsten Moment griff die ORDNUNGSKRAFT unwirsch nach ihrer freien Hand – der rechten – und förderte ein blauschimmerndes kleines Gerät aus der Jackentasche zutage. Der Mann presste es auf Boneas Handinnenfläche. Augenblicklich stutzte er und rief aus: „Aber du hast ja gar kein Implantat!“
    Eine Sekunde später klatschte auf einmal eine argwöhnisch gewordene dicke Frau dicht hinter Faruk heftig in die Hände, und als er nicht darauf reagierte, kreischte die Dicke mit kippender Stimme: „Er ist TAUB! Er ist TAUB! Die Seuche, die Seuche!“
    Daraufhin veränderte sich die Atmosphäre auf schreckliche Weise – ein stechender Geruch ging von der Menge schaulustiger Leute aus, ein Geruch, den Bonea sofort wiedererkannte: ANGST. Überwältigend scharf drang er in ihre Nase, er kam in Wellen, und aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie Faruk, der jetzt nicht mehr zitterte, in die Falten seines Rattenfellgewandes griff.
    Und dann erschien endlich Ois großer Kopf aus dem Gullyloch, er wuchtete sich hinaus und erhob sich zu seinen gesamten zwei Metern Körpergröße. Er hatte die Schreie gehört und war aufs höchste alarmiert. Die Menschen wurden durch sein Auftauchen abgelenkt; sie wichen sogar etwas zurück. Dieser Sekundenbruchteil genügte Faruk – er schleuderte mehrere Kieselsteine mit solcher Geschicklichkeit, dass die Leute aufschreiend zur Seite spritzten und ihre Gesichter zu schützen versuchten. Eine Lücke entstand in
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