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Amsterdam-Cops 04 - Tod eines Strassenhaendlers

Amsterdam-Cops 04 - Tod eines Strassenhaendlers

Titel: Amsterdam-Cops 04 - Tod eines Strassenhaendlers
Autoren: Janwillem Van De Wetering
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Der Mann fällt hintenüber. Der Ziegel fällt ins Zimmer. Aber hier war kein Ziegel. Er ging zum Fenster und sah hinaus auf die Straße. Er sah immer noch keinen Ziegel. Der behelmte Polizist, der sie vorher angehalten hatte, lehnte an einem Baum und starrte auf das Wasser.
    «He, du», rief Grijpstra. Der Polizist schaute nach oben. «Hat man hier heute nachmittag mit Steinen geworfen?». « Nein», rief der Konstabel zurück. «Warum?»
    «Dem Burschen hier hat man das Gesicht zerschmettert. Es könnte ein Stein gewesen sein.»
    Der Konstabel kratzte sich am Hals. «Ich werde gehen und die anderen fragen», rief er nach einer Weile. «Ich bin nicht den ganzen Nachmittag hier gewesen.»
    «Der Stein könnte vom Gesicht des Mannes abgeprallt und wieder auf die Straße gefallen sein. Hol bitte ein paar von deinen Kollegen und sucht die Straße ab, ja?»
    Der Konstabel winkte und lief davon. Grijpstra drehte sich um. Es konnte selbstverständlich eine Waffe gewesen sein oder sogar eine Faust. Vielleicht mehrere Schläge. Kein Messer. Ein Hammer? Vielleicht ein Hammer, dachte Grijpstra und setzte sich auf den einzigen Sessel, einen großen Korbsessel mit hohem Rücken. Er hatte vor einigen Tagen in einem Schaufenster einen ähnlichen Sessel gesehen und erinnerte sich an den Preis. Es war ein hoher Preis. Der Tisch im Zimmer war ebenfalls kostspielig, antik und schwer, mit einem einzigen verzierten Bein. Auf dem Tisch lag ein Buch, ein französisches Buch. Grijpstra las den Titel. Zazie dans le Métro. Auf dem Schutzumschlag war das Bild eines kleinen Mädchens. Irgendein kleines Mädchen, das in der U-Bahn ein Abenteuer erlebt. Französisch verstand Grijpstra nicht. Viel mehr war im Zimmer nicht zu sehen. Ein niedriger Tisch mit Telefon sowie ein Telefonbuch und einige andere französische Bücher in einem Stapel auf dem Fußboden. Die Zimmerwände waren leer, bis auf ein ziemlich großes ungerahmtes Gemälde. Er betrachtete das Gemälde mit Interesse. Es dauerte eine Weile, ehe er sagen konnte, was er sah. Das Bild schien aus einem großen schwarzen Punkt oder einer Konstellation von Punkten auf blauem Untergrund zu bestehen, aber es mußte ein Boot sein, stellte er schließlich fest. Ein kleines Boot, ein Kanu oder Dingi, das auf einem fluoreszierenden Meer schwimmt. Und im Boot befanden sich zwei Männer. Das Bild war nicht so traurig, wie es auf den ersten Blick schien. Das Fluoreszieren des Meeres, angedeutet durch weiße Streifen seitlich vom Boot und in dessen Kielwasser, erweckte eine gewisse Heiterkeit. Das Gemälde beeindruckte ihn, er schaute es immer wieder an. Andere Gegenstände im Zimmer fesselten seine Aufmerksamkeit für einen Augenblick, aber das Bild zog ihn magisch an. Wäre die Leiche nicht gewesen, die den Raum durch ihre erschreckende und groteske Gegenwart beherrschte, würde das Zimmer die perfekte Umgebung für das Gemälde sein. Grijpstra besaß selbst einiges Talent und hatte ernsthaft vor, eines Tages zu malen. Als junger Mann hatte er gemalt, aber die Ehe und die sich plötzlich um ihn ausbreitende Familie und das kleine unbehagliche Haus – in der Lijnbaansgracht gegenüber dem Polizeipräsidium –, erfüllt vom vernichtenden Lärm eines Fernsehgeräts, das seine taube Frau nie abstellen wollte, und die immer gegenwärtige Existenz dieser schlaffen Frau, die ihn und die Kinder anschrie, hatten seinen Ehrgeiz frustriert und fast umgebracht. Wie würde er ein kleines Boot malen, das allein auf dem unermeßlichen Meer schwimmt? Er würde mehr Farben verwenden, aber mehr Farben würden den Traum verderben. Denn das Bild war ein Traum, ein Traum, den zwei Freunde gleichzeitig träumen, zwei Männer, schwebend im Raum, gezeichnet als zwei kleine, miteinander verbundene Linienstrukturen.
    Er streckte die Beine aus, lehnte sich zurück und atmete schwer. Dies wäre ein Zimmer, in dem er leben könnte. Das Leben würde zum Vergnügen werden, denn ein schwerer Tag würde nicht so schwer sein, wenn er wußte, daß er in dieses Zimmer zurückkehren konnte. Und der Tote hatte in diesem Zimmer gewohnt. Er seufzte noch einmal. Er schaute auf das niedrige Bett beim Fenster. Auf dem Bett lagen drei Schlafsäcke mit Reißverschluß, einer geschlossen und zwei offen. Der Mann hatte vermutlich in dem einen Sack geschlafen und die beiden als Zudecke benutzt, falls es nötig war. Sehr vernünftig. Keine Umstände mit Laken. Wenn ein Mann Laken will, braucht er eine Frau. Die Frau muß das Bett machen und die
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