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Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses

Titel: Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses
Autoren: Elizabeth Peters
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und im Falle von Ramses sogar höchst alarmierend. Ramses wurde in diesem Sommer sechzehn und war, nach muslimischer Vorstellung, ein erwachsener Mann. Ich brauche nicht zu betonen, daß ich diese Vorstellung nicht teilte. Das Heranwachsen von Ramses ließ mich zu dem Glauben an Schutzengel konvertieren; nur übersinnliche Wahrnehmungen können erklären, wie es ihm gelungen ist, sein derzeitiges Alter zu erreichen, ohne sich selbst umzubringen oder von einem der unzähligen Menschen ins Jenseits befördert zu werden, die er beleidigt hat. Er mußte meiner Meinung nach zivilisiert werden und nicht auch noch dazu ermutigt, unzivilisierte Fertigkeiten zu entwickeln, auf die er sich ohnehin schon meisterhaft verstand. Allein bei dem Gedanken, daß Ramses andere führen sollte, damit sie in seine Fußstapfen traten, wurde mir schwindlig.
    Leider wurden meine Einwände von Ramses und seinem Vater überstimmt. Mein einziger Trost bestand darin, daß Ramses’ Freund David, der zwei Jahre älter war, ihn begleitete. Ich hoffte, daß dieser ägyptische Junge, der eigentlich ein Adoptivsohn von Emersons jüngerem Bruder und dessen Ehefrau war, in der Lage wäre, Ramses davon abzuhalten, sich selbst umzubringen oder das Lager zu zerstören.
    Das Überraschendste von allem war, daß mir der kleine Kerl ziemlich fehlte. Am Anfang genoß ich den Frieden und die Ruhe, aber nach einer Weile wurde es langweilig. Keine stinkenden Explosionen in Ramses’ Zimmer, keine Schreie neuer Hausmädchen, die auf eine seiner mumifizierten Mäuse getreten waren, keine Besuche aufgebrachter Nachbarn, die sich darüber beschwerten, daß Ramses ihnen die Jagd vermasselt hatte, weil er mit dem Fuchs auf und davon war, keine Auseinandersetzungen mit Nefret …
    Zwei Männer schoben sich durch die Menge und näherten sich der Terrasse. Sie waren beide schlank und breitschultrig, doch damit endete ihre Ähnlichkeit. Einer der beiden war ein gutaussehender junger Herr im tadellos sitzenden Tweedanzug, der einen Spazierstock trug. Er befand sich offensichtlich schon länger in Ägypten, denn seine Gesichtshaut hatte eine attraktive walnußfarbene Bräune. Sein Begleiter trug schneeweiße Gewänder und die Kopfbedeckung der Beduinen, unter der typisch arabische Gesichtszüge sichtbar wurden – dichte dunkle Brauen, eine vorstehende Hakennase und schmale Lippen, die von einem verwegenen schwarzen Schnurrbart umrahmt wurden.
    Einer der beiden hünenhaften Wachtposten machte einen Schritt nach vorn, als wollte er sie zurechtweisen. Eine Geste des Arabers ließ ihn allerdings zurückweichen, und er starrte den beiden nach, während sie die Treppen hinaufstiegen.
    »Nun!« rief ich. »Ich weiß nicht, wie das ›Shepheard‹ dazu steht. Jedenfalls sollten sie die Dragomane nicht …«
    Ich konnte meinen Satz nicht beenden. Mit einem freudigen Aufschrei sprang Nefret von ihrem Stuhl hoch und rannte los, um sich dem Beduinen in die Arme zu werfen, wobei ihr der Hut vom Kopf flog. Als sich seine weichfließenden Ärmel um ihren schlanken Körper schlangen, sah man für Sekundenbruchteile nur noch ihren rotgoldenen Haarschopf.
    Emerson, der Nefret dicht auf den Fersen war, zog sie von dem Beduinen weg und begann, dessen Hand heftig zu schütteln. Nefret wandte sich dem anderen jungen Mann zu. Er streckte ihr seine Hand entgegen. Lachend schlug sie sie beiseite und umarmte ihn wie zuvor Ramses.
    Ramses? Kleiner Kerl? Ramses war nie ein normaler kleiner Junge gewesen, aber es hatte Zeiten gegeben (für gewöhnlich wenn er schlief), da hatte er normal gewirkt. Der schlafende Engel mit seinem zerzausten schwarzen Lockenschopf und seinen winzigen nackten Füßen, die unschuldig unter dem Saum seines weißen Nachthemds hervorgelugt hatten, hatte sich in diese – diese männliche Person mit einem Schnurrbart verwandelt! Ich vermutete, daß diese Verwandlung nicht schlagartig eingetreten war. Tatsächlich, als ich genauer darüber nachdachte, fiel mir auf, daß er ganz normal von Jahr zu Jahr gewachsen war. Er war mittlerweile fast so groß wie sein Vater, gut und gerne ein Meter achtzig. Damit hätte ich mich abfinden können. Aber der Schnurrbart …
    In der Hoffnung, daß meine Lähmungserscheinung als vornehme Zurückhaltung aufgefaßt würde, blieb ich sitzen. Emerson hatte seine übliche britische Reserviertheit so vollkommen vergessen, daß er seinem Sohn einen Arm auf die Schulter legte, um ihn zu mir zu führen. Ramses’ von Natur aus südländischer Teint
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