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Ambient 04 - Terraplane

Ambient 04 - Terraplane

Titel: Ambient 04 - Terraplane
Autoren: Jack Womack
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Umgebung ständig unter Verschluß hält; nicht so sehr, um die anderen am Eindringen zu hindern, als vielmehr die unsrigen am Auswandern, eine Frage allein der Perspektive. Wenig Gefahr besteht heutzutage durch Virusübertragung, wenigstens im Falle des besonderen Virus; in der anfänglichen Verbreitung folgte DS in unserer Welt einem ähnlichen Muster, doch sind seit seiner Zähmung durch neuentwickelte Impfstoffe nur wenige seiner Geißel erlegen. Wie Oktobrjana befürchtet hatte, brachte Aljechins Geschenk, als er damit zurückkehrte, mehr als erwünscht war. Wie wir von unseren Informanten erfuhren, erhielt Aljechin definitive Behandlung für seine Bemühungen. Auch wurde bekannt, daß der große Mann selbst bis ins hohe Alter lebte, sicher vor allen Widrigkeiten unserer Zeit in einer vom Staat zur Verfügung gestellten Datscha – Skuratows, wie ich mir gern vorstelle. Krasnaja versuchte immer schon, das Rechte zu tun. Selbst in Rußland war es eine Sache von größtem Heiterkeitserfolg, daß nur der große Mann hätte imstande sein können, Dutzende von Millionen seiner Landsleute in zwei verschiedenen Jahrhunderten umzubringen.
    Inzwischen ganz erwacht, stand ich bereit, zu begegnen und zu begrüßen; stellte mir vor, daß seine Hand wie durch einen windbewegten Vorhang reichen könnte. Trieb er noch immer dort, verloren unter dem Eis, für alle Zeit auf der Suche nach dem Loch, durch das er sich selbst gestürzt hatte? Wer hört ihn, wenn er schreit? Oder zündet er zur Vergeltung die Feuer unbekannten Ursprungs an? Drückt er nächtlichen Fahrern die Augen zu? Überklebt er die Ablesungen, wenn Flugzeuge zur Instrumentenlandung ansetzen? Lockt er jene, deren Leichen niemals ein Grab kennen, mit dem Charme des Inkubus? Jake tauchte nie auf; ich erfuhr es nie.
    Es war nicht die vernünftigste Stunde der Nacht. Nach so langer Zeit brauchte ich den Schlag der Wirklichkeit und blickte hinaus, über die Hügel und Gebäude der Bronx bis zu den fernen Türmen Manhattans durch Wolken und stürzendes Wasser. Alles sah so normal aus wie immer. Ich veränderte die Blickrichtung, meinen Besitz zu umfassen. Als ich nach langen Bürojahren bei Dryco in den Ruhestand trat und alle mir zustehenden Gratifikationen bekam, wollte ich, wie erwünscht, investieren und verlegte mich auf das Sammeln von Zeitzeugen, wie mein Budget es erlaubte, mit denen ich mich umgab: das Foto, das von der Wand gefallen war, eine Dose Ahornsirup in der Verkleidung einer Blockhütte, eine ungeöffnete Packung Lucky Strike in frischen Weihnachtsfarben; ein grünes Hemd von radiumbestrahlter Seide, aber frei von schädlichen Isotopen, eine Radkappe von einem Terraplane …
    Jake. Jake, Jake – zwanzig Jahre fort.
    Einmal forderte ich von Alice die Einwohnerkartei der betreffenden Jahre an, um zu wissen, was es mit dem Doc unserer Welt auf sich hatte. Auch hier war Norman Quarles ein Arzt gewesen, unzweifelhaft einer mit einem mehr professionellem Hintergrund; der Name seiner Frau war Wanda, und sie lebten in der Eighth Avenue, unweit der Kreuzung Hundertdreiunddreißigste, und schliefen sicherlich ebenso unruhig im allnächtlichen Geratter der Hochbahn. Als sie in den frühen siebziger Jahren starben, zuerst Doc, und dann Wanda –, hinterließen sie keine Nachkommen; zweifellos aus unterschiedlichen Gründen. Ich erzählte Wanda vom Ergebnis meiner Nachforschungen, aber sie wollte nichts davon hören. Vielleicht befürchtete sie, daß, wenn sie sich gründlicher mit ihrem Gegenstück bekannt machte, die Hälfte ganz werden und sie verschwinden könnte. Ob das Ehepaar Quarles in dieser Welt ein glücklicheres Leben kannte, weiß ich nicht; ich hoffe, sie hatten ein ruhigeres.
    Gedanken bestürmten mich, als ich dastand, auf Nachricht wartete, nach Omina und Zeichen Ausschau hielt, die Ohren spitzte, ob im Rauschen des Regens vielleicht ein Morsesignal geklopft wurde. Wie in jeder Nacht, wenn ich vor Morgengrauen erwache, kroch die alte Ungewißheit heran. Ich schaltete die Küchenlampe ein, nahm einen Krug mit Pennies, entleerte sie auf den Tisch und starrte auf den Haufen, betete zu allen, die nicht hörten, daß der Krake in mir noch nicht erwacht sei, wie er es eines Tages noch immer tun mochte. Keine Zahlen leuchteten als Neon in meinem Geist auf, als ich die Münzen besah; ich zählte sie, eine nach der anderen. Ich zählte einhundertzwölf.
    Gab es Antworten? Wenn es zwei Welten gab, deren jede auf verschiedener Bahn die gleiche Richtung
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