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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern
Autoren: Jack Womack
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flachsfarbenem Haar. Unser Haus ist groß und hat einen offenen Kamin, an der Vorderfront stehen vier weiße Säulen.«
    »Wie schön«, sagte Katherine. Ihr Vater ist Anlageberater. Er arbeitet für eine Bank downtown. Sie wohnen Park Avenue Ecke 78. Straße. Ich besuche sie eher selten, weil Katherine sagt, daß ihre Eltern den Lärm nicht vertragen.
    »Du bist dran«, sagte ich. »Wie sieht deine Traumfamilie aus?«
    »Sie bleiben in ihren Zimmern und ich in meinem. Ich lese die ganze Zeit. Manchmal sehe ich fern. Papa arbeitet in fernen Ländern, und Mama ruft ihn am Wochenende an. Er kommt nur einmal pro Jahr zu Besuch. Ich habe drei ältere Schwester; sie sind wunderschön und haben mich gern. Stell dir vor, du hast einen Verehrer. Wie sieht er aus?«
    »Ich werde nie einen Jungen als Freund haben.«
    »Wirst du doch. Wie sieht er aus?«
    »Er ist nicht besonders groß und hat einen Bart. Er trägt eine Brille. Er bringt mir alles, wenn ich ihn darum bitte.«
    »Das ist dein Vater«, lachte Katherine.
    »Ist er nicht. Stell dir vor, du hast einen Freund. Wie ist er?«
    »Er ist blond. Er sieht gut aus in seiner Radlerhose. Er ist ein großartiger Schwimmer und lädt mich jeden Abend zum Essen ein. Nie vergißt er meinen Geburtstag.«
    »Du sprichst von Corey.« Jetzt lachte ich.
    »Nein, von Paul«, gab Katherine zu.
    »Stell dir vor, du kannst gehen, wohin du willst. Was wäre dein Ziel?«
    »Keine Ahnung.« Sie legte ihr Bein auf meines. Ich legte noch mein anderes Bein um sie. Das war angenehm und warm. »Ich weiß nicht, wo ich hin sollte. Irgendwohin.«
    »Florida?« Sie schüttelte den Kopf. Katherine und ihre Familie fahren jedes Jahr nach Florida. Mir fiel etwas ein: »Wenn ich überall hingehen könnte, dann würde ich nach Europa wollen. Ich möchte sehen, wo meine Großeltern herkommen.«
    »Von wo sind die?«
    »Aus Prag. Ich möchte wieder nach Prag. Nächste Frage.«
    Katherine drehte sich auf den Rücken und zog ihre Beine an, als wolle sie sich mit Schwung nach vorne abrollen. »Lo, stell dir vor, du bist ein Junge und vergewaltigst mich.«
    »Warum sollte ich dich vergewaltigen? Du sagst ja schreckliche Sachen.«
    »Wir spielen ›vorstellen‹, aus.«
    »Selbst wenn ich ein Junge wäre, würde ich dich nie vergewaltigen. Warum redest du von so was?«
    »Jungs tun das.«
    »Das mag ich mir nicht vorstellen. Schlafen wir jetzt, Kat.«
    Sie drehte sich wieder zur Seite und drängte sich an mich.
    »Kneif mich, wenn ich schnarche«, sagte sie.
    »Ich werde dich treten.«
    »Okay.«
    Ich konnte nicht gleich einschlafen, weil ich lange nachdenken mußte über die Dinge, die Katherine gesagt hat. Es hätte mir nichts ausgemacht, mir vorzustellen, ein Junge zu sein, weil ich wahrscheinlich ein besserer Junge wäre als die meisten. Aber eine Vergewaltigung ist böse, und ich kann mir nicht denken, warum sie wollte, daß ich mir das vorstellen sollte. Die ist schon seltsam von Zeit zu Zeit. Geschnarcht hat sie nicht; ich weiß nicht, wer ihr gesagt hat, daß sie das tut. So lag ich lange wach und hörte Boob zu, die auf der anderen Seite der Wand im Schlaf brabbelte und wäre lieber allein gewesen, weil ich dir gern geschrieben hätte, Anne. Na, besser spät als nie.
     

2. März
    Die Rote Armee ist da und mit ihr die Krämpfe. Bei mir ist der erste Tag immer der schlimmste, also weiß ich mit Bestimmtheit, daß ich morgen aufwachen werde und alles ist nur noch halb so wild. Ich habe meine Tage erst seit einem Jahr, aber mir reicht es bereits. Mama sagt: »Liebling, das ist eine grausame Prüfung für uns Frauen, aber was kann man machen?« Wenn die Rote Armee regiert, habe ich immer das Gefühl, ich rieche schlecht, und ich kriege Pickel, und ich schaue schlecht aus. In den Filmen erzählen sie einem alles mögliche darüber, aber nie, wie weh es tatsächlich tut. Ich habe Boob vor der Periode gewarnt, weil sie unbedingt eine haben möchte, und sie werde dann schon sehen …
    »Du willst sie nur für dich alleine haben«, quengelte sie. »Aber ich will auch die Tage.« Boob spinnt. Jeden Tag bindet sie sich ›Foeti‹ um, sobald sie von der Schule heimkommt. Meiner Meinung nach gehört das Ding mal in die Reinigung.
    Während Geschichte hat sich Katherine heute wieder sehr merkwürdig benommen. Lori und ich begrüßten sie, aber sie lief nur rot an und weg war sie. Ich glaube, daß sie glaubt, daß ich wütend auf sie sei, weil sie neulich von mir verlangt hat, ein Junge zu sein. Das ist lachhaft,
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