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Amber Rain

Amber Rain

Titel: Amber Rain
Autoren: Felicity La Forgia
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abgebogen, an diesem Morgen, der so vielversprechend begonnen hatte, dass er in einer solchen Katastrophe enden konnte? War es der Moment, an dem ich mich entschlossen hatte, doch ein Taxi zu nehmen zu dem Casting im Stadtzen t rum? Hätte ich die U-Bahn nehmen sollen, damit mich die P a nik direkt vor der Haustür überfällt? Dann hätte ich es gar nicht bis in das Café geschafft. Ich hätte nicht vorsprechen können. Das Ensemble der IAG wäre nicht begeistert von mir gewesen. Oh ja, ich kann mir meine Kicks auch anderswo h o len. Ich brauche die Schauspielerei, wie andere die Luft zum Atmen. Während des Castings wieder vor Menschen gesta n den, in ihre Augen gesehen zu haben, während ich in meine Rolle schlüpfte, hat etwas in mir aufgerührt. Es hat mir gezeigt, wie viel mir in meinem Leben fehlt. Ich bin erst siebenun d zwanzig Jahre alt und manchmal denke ich, ich könnte genauso gut tot sein.
    Schon im Flur sehe ich, dass der Anrufbeantworter blinkt. Mittlerweile ist es nach Mittag und ich bin mir sicher, dass die Nachrichten von Charly stammen, die wissen will, wie es bei dem Casting gelaufen ist.
    Ich streife meine Sneaker von den Füßen und tappe ins Wohnzimmer. Bevor ich die Nachrichten abhöre, stelle ich im Vorbeigehen den Wasserkocher an. Ich komme aus einer Kleinstadt in den Midlands. Die tiefe Überzeugung, dass man nahezu jede Krise mit einer guten Tasse Tee bewältigen kann, liegt mir im Blut.
    Immer weiter kreisen meine Gedanken um die Frage nach dem Wann. War es doch erst der Augenblick, als ich in einem Anflug von Euphorie nach dem Erfolg des Vorsprechens z u gestimmt habe, mit den anderen aus dem Ensemble noch eine Kleinigkeit essen zu gehen? Hätte ich ahnen müssen, dass der Weg über den Piccadilly Circus für mich zum Verhängnis wird? Ich wollte mir nicht das Leben nehmen. Ganz sicher nicht. Zum Glück ist auch der Polizeigutachter auf der Wache zu di e sem Ergebnis gekommen. Nur manchmal werde ich das G e fühl nicht los, dass das Leben mich mir wegnimmt.
    Noch bevor der Wasserkocher blubbert, klingelt das Telefon. Weil ich weiß, dass ich Charly nicht länger entkommen kann, nehme ich ab. Ich komme nicht einmal dazu, meinen Namen zu sagen, da überschüttet sie mich bereits mit Fragen.
    „Amber! Wie war’s? Mensch, ich versuche schon den ganzen Vormittag, dich zu erreichen. Es sollte doch bloß eine Stunde oder so dauern, was ist denn passiert? Nun sag schon, wie es gelaufen ist. Wie waren die anderen? Konntest du vorspr e chen? Haben sie sich vor dir auf die Knie geworfen?“ Trotz meiner Niedergeschlagenheit bringt mich Charlys Fragenregen zum Lächeln. Es ist unmöglich, sich Charlotte Phillips’ Temp e rament zu entziehen. Wir kennen uns seit der Lower School. Zusammen haben wir zwölf Jahre Schule hinter uns gebracht, haben gemeinsam über unsere ersten Schwärme diskutiert und den ersten Liebeskummer ausgestanden. Charly ist meine beste Freundin, der einzige Mensch, der all meine inneren Dämonen kennt. Psychologen und Psychiater sind an mir verzweifelt. Mir macht es nichts aus zu schweigen, wenn ich nichts zu sagen habe, aber Charlys Freundschaft und Loyalität haben mich i r gendwann doch aus meinem Kokon aus Stille gelockt.
    Ich atme tief durch und mache mich bereit, das ganze Elend des heutigen Tages noch einmal verbal Revue passieren zu la s sen. Als ich an der Stelle angekommen bin, als ich von zwei Officers abgeführt werde, höre ich Charly scharf die Luft ei n ziehen. „Oh Amber. Ich“, sie seufzt tief, „bitte sag nichts mehr. Ich will gar nichts mehr hören. Was für eine stinkende Scheiße.“
    Ich hätte es nicht besser ausdrücken können. „Das war’s dann wohl mit dem Traum von der Rückkehr auf die Bühne.“ Mir gelingt es nicht, die Traurigkeit aus meiner Stimme zu ha l ten. Der Hörer an meinem Ohr ist warm geworden. Zumindest das Telefon bleibt mir. Es ist ein lausiger Ersatz für die echte Erfahrung, aber besser als nichts.
    „Soll ich vorbei kommen?“ Ich bin mir sicher, dass Charly jedem anderen vorgeschlagen hätte, einen Tag wie heute in i r gendeiner Bar in Cider und Martini zu ertränken. Bis vor einem Jahr oder so wäre das auch noch für mich eine Option gew e sen. Aber die Panikattacken werden schlimmer. An manchen Tagen kann ich nicht einmal mehr mit Begleitung aus dem Haus gehen.
    „Nein, ist schon gut. Ich glaube, ich will lieber allein sein.“ Und das ist noch nicht einmal eine Lüge. Das Alleinsein ist kein Problem für mich. Was
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