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Am Ufer

Am Ufer

Titel: Am Ufer
Autoren: Paulo
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verlaufen, doch das stimmte nicht: in Wahrheit fand ich hier meinen Weg.«
    »Du sprichst in Rätseln«, sagte ich.
    »Hier habe ich begriffen, daß du mir in meinem Leben fehlst.«
    Ich sah mich um. Ich begriff nicht, wieso.
    »Was hat das mit deinem Weg zu tun?«
    »Wir werden uns ein Zimmer suchen, denn die beiden einzigen Hotels in dieser kleinen Stadt sind nur im Sommer geöffnet. Dann essen wir in einem guten Restaurant zu Abend, ganz entspannt, ohne die Polizei auf den Fersen, ohne Hals über Kopf zum Wagen rennen zu müssen. Und wenn der Wein unsere Zunge gelöst hat, dann reden wir ausführlich miteinander.«
    Wir lachten beide. Ich war schon zu entspannt.
    Während der Reise wurde mir deutlich, was für Unsinn ich gedacht hatte. Als wir durch das Gebirge fuhren, das Frankreich von Spanien trennt, hatte ich Gott darum gebeten, mir die Anspannung und die Angst von der Seele zu nehmen.
    Ich war es müde, diese kindliche Rolle zu spielen, mich so zu verhalten wie viele meiner Freundinnen, die Angst vor der unmöglichen, unerfüllbaren Liebe hatten, jedoch nicht einmal wußten, was diese ›unmögliche Liebe‹ überhaupt war. Wenn ich so weitermachte, würde ich noch alles verderben, was mir diese paar Tage mit ihm zusammen Gutes geben konnten.
    ›Vorsicht‹, dachte ich, ›Vorsicht mit dem Haarriß im Staudamm. Ist er erst da, kann ihn nichts auf der Welt wieder schließen.‹
    »Möge uns die Heilige Jungfrau von nun an beschützen«, sagte er.
    Ich antwortete nicht.
    »Warum sagst du nicht Amen?« fragte er.
    »Weil ich es nicht so wichtig finde. Es gab Zeiten, in denen gehörte die Religion zu meinem Leben, doch diese Zeiten sind vorüber.«
    Er machte auf dem Absatz kehrt, und wir gingen zum Wagen.
    »Ich bete noch«, fuhr ich fort. »Ich habe gebetet, als wir über die Pyrenäen gefahren sind. Doch das geschieht fast automatisch, ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich daran wirklich glaube.«
    »Warum?«
    »Weil ich gelitten habe und Gott mich nicht erhört hat. Weil ich viele Male in meinem Leben versucht habe, von ganzem Herzen zu lieben, und die Liebe am Ende mit Füßen getreten, verraten wurde. Wenn Gott die Liebe ist, müßte er sich um mein Gefühl mehr kümmern.«
    »Gott ist die Liebe. Doch wer davon etwas versteht, ist die Heilige Jungfrau Maria.«
    Ich brach in Lachen aus. Als ich ihn wieder ansah, war er ernst. Es war kein Scherz gewesen.
    »Die Heilige Jungfrau kennt das Geheimnis der vollkommenen Hingabe«, fuhr er fort. »Und da sie geliebt und gelitten hat, hat sie uns vom Schmerz befreit. Genauso, wie Jesus uns von den Sünden befreit hat.«
    »Jesus war Gottes Sohn. Die Heilige Jungfrau war nur eine Frau, der die Gnade zuteil wurde, ihn in ihrem Schoße zu empfangen«, entgegnete ich. Ich wollte das unpassende Gelächter wiedergutmachen, ich wollte, daß er merkte, daß ich seinen Glauben respektiere. Aber über Glaube und über Liebe diskutiert man nicht, vor allem nicht in einer so reizenden Stadt wie dieser.
    Er öffnete den Kofferraum und holte die beiden Taschen heraus. Als ich mein Gepäckstück selbst tragen wollte, lächelte er.
    »Laß nur, ich trage es für dich.«
    ›Wie lange schon hat mich niemand so behandelt‹, dachte ich.
    Wir klopften an die erste Tür. Die Frau sagte, sie vermiete keine Zimmer. Bei der zweiten Tür öffnete niemand. Bei der dritten empfing uns ein freundlicher Alter, doch als wir uns das Zimmer ansahen, stand dort nur ein Doppelbett. Ich wollte nicht.
    »Vielleicht fahren wir besser in eine größere Stadt«, schlug ich vor.
    »Wir werden schon ein Zimmer bekommen«, antwortete er. »Kennst du die Übung mit dem Anderen? Sie gehört zu einer vor hundert Jahren geschriebenen Geschichte, deren Autor –«
    »Vergiß den Autor und erzähl mir die Geschichte«, bat ich ihn, während wir über den einzigen Platz von Saint-Savin gingen.
    Ein Mann trifft einen alten Freund, der erfolglos versucht hatte, es im Leben zu etwas zu bringen. ›Ich werde ihm ein bißchen Geld geben‹, denkt er. Doch er erfährt noch in derselben Nacht, daß sein alter Freund reich war und beschlossen hatte, alle Schulden zurückzubezahlen, die er in den Jahren gemacht hatte.
    Die beiden gehen in eine Bar, die sie früher immer gemeinsam besucht hatten, und er gibt eine Runde aus. Als er gefragt wird, wie er solchen Erfolg haben konnte, antwortet er, daß er bis vor einigen Tagen der Andere gewesen sei.
    »Wer ist der Andere?« fragen sie ihn.
    »Der Andere ist der, den sie
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