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Am Ufer

Am Ufer

Titel: Am Ufer
Autoren: Paulo
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mich zu sein gelehrt haben, der ich aber nicht bin. Der Andere glaubt, daß der Mensch sein ganzes Leben lang nur daran denken muß, wie er so viel Geld zusammenbekommt, daß er nicht Hungers stirbt, wenn er alt ist. Er denkt so viel und macht so viele Pläne, daß er erst, als seine Tage auf Erden schon gezählt sind, entdeckt, daß er lebt. Doch da ist es schon zu spät.«
    »Das bist du, nicht wahr?«
    »Ich bin wie jeder andere, wenn ich auf mein Herz höre. Ein Mensch, der staunend die Mysterien des Lebens betrachtet, ist offen für die Wunder; das, was er tut, löst Freude und Begeisterung in ihm aus. Nur der Andere läßt ihn aus Angst, enttäuscht zu werden, nicht handeln.
    »Aber es gibt doch das Leiden«, sagen die Leute in der Bar.
    »Es gibt Niederlagen. Niemand ist gegen sie gefeit. Deshalb ist es besser, im Kampf um seine Träume ein paar Schlachten zu verlieren, als besiegt zu werden, ohne zu wissen, wofür man kämpft.«
    »Ist das alles?« fragen die Leute in der Bar.
    »Ja. Als ich das entdeckt habe, bin ich aufgewacht und habe beschlossen, der zu sein, der ich in Wahrheit immer sein wollte. Der Andere blieb dort in meinem Zimmer und sah mich an, doch ich habe ihn nie wieder hereingelassen, obwohl er immer wieder versucht hat, mich zu erschrecken, mich auf das Risiko aufmerksam zu machen, das ich einging, wenn ich nicht mehr an die Zukunft dachte. In dem Augenblick, als ich den Anderen aus meinem Leben vertrieben habe, hat die Kraft Gottes begonnen, ihre Wunder zu tun.«
    ›Diese Geschichte hat er bestimmt erfunden. Sie ist zwar hübsch, aber wahr ist sie nicht ‹ dachte ich, während wir weiter nach einer Übernachtungsmöglichkeit suchten. Saint-Savin bestand aus nicht mehr als dreißig Häusern, und wenn wir nichts fanden, würden wir genau das tun müssen, was ich vorgeschlagen hatte, nämlich in eine größere Stadt fahren.
    Doch mochte er auch noch soviel Begeisterung in sich tragen, mochte der Andere sich längst aus seinem Leben verabschiedet haben, die Bewohner von Saint-Savin wußten nicht, daß sein Traum war, hier zu schlafen, und dachten nicht daran, ihm zu helfen. Doch während er diese Geschichte erzählte, habe ich mich darin gesehen, meine Ängste, meine Unsicherheit, meine Weigerung, das Schöne um mich herum wahrzunehmen, weil morgen schon alles vorbei sein und ich leiden könnte.
    Die Götter würfeln und fragen nicht, ob wir mitspielen wollen. Ihnen ist es gleichgültig, ob du einen Mann, ein Haus, eine Arbeit, einen Traum aufgegeben hast. Die Götter kümmert es wenig, ob in deinem Leben alles seinen Platz hat und ob deine Wünsche durch Arbeit und Beharrlichkeit erfüllt werden. Die Götter scheren sich nicht um unsere Pläne und um unsere Hoffnungen. Irgendwo da draußen im Universum würfeln sie, und irgendwann bist du dran. Ob du gewinnst oder verlierst, ist eine Frage des Zufalls.
    Die Götter würfeln und lassen die Liebe aus ihrem Käfig. Diese Kraft kann schöpferisch oder zerstörerisch sein, je nachdem, woher der Wind weht, wenn sie aus ihrem Käfig kommt.
    Im Augenblick wehte diese Kraft ihn an. Doch der Wind ist unberechenbar wie die Götter. Und tief in meinem Innern begann ich einige Windstöße zu spüren.
    Als wollte das Schicksal mir zeigen, daß die Geschichte vom Andern wahr war und das Universum sich immer mit den Träumern verbündet, fanden wir ein Haus, in dem wir bleiben konnten, mit einem Schlafzimmer mit zwei Betten. Als allererstes nahm ich ein Bad, wusch meine Wäsche und zog das T-Shirt an, das ich gekauft hatte. Ich fühlte mich wie neu – und das gab mir Sicherheit.
    ›Wer weiß, vielleicht mag ja die Andere dieses T-Shirt gar nicht‹, kicherte ich in mich hinein.
    Nach dem Abendessen mit den Besitzern des Hauses – auch Restaurants waren im Herbst und im Winter geschlossen – bat er um eine Flasche Wein und versprach, gleich morgen eine neue zu kaufen.
    Wir zogen unsere Jacken an, liehen uns zwei Gläser und gingen hinaus.
    »Wir könnten uns an den Brunnen setzen«, sagte ich.
    Dort ließen wir uns nieder und tranken, um die Kälte und die Spannung zu vertreiben.
    »Es scheint, der Andere ist wieder in dich gefahren«, scherzte ich. »Er ist schlechter gelaunt.«
    Er lachte.
    »Ich habe gesagt, wir werden ein Zimmer finden, und wir haben eins gefunden. Das Universum hilft uns immer im Kampf um unsere Träume, so verrückt sie auch sein mögen. Denn es sind unsere Träume, und nur wir selbst wissen, wieviel Mühe es uns kostet, sie zu
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