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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx
Autoren: Michael Peinkofer
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einem ermunternden Lächeln. »Sie können immer noch Kinder bekommen.«
    »Was?« Sarah glaubte, nicht recht zu hören.
    »Nun, ich dachte …«
    »Was soll das heißen, Doktor?«, erkundigte sich Sarah vorsichtig.
    »Sie wissen von nichts?«, fragte der Schiffsarzt entgeistert.
    »Wovon soll ich nichts wissen?«
    »Von Ihrer Schwangerschaft natürlich.«
    »Welche Schwangerschaft?«
    »Aber Sarah, Ihr Zustand kann Ihnen doch unmöglich verborgen geblieben sein.«
    »Mein Zustand?«, fragte Sarah verwirrt. »Wovon, in aller Welt, sprechen Sie …?«
    »Wann hatten Sie Ihre letzte Menstruation?«, erkundigte sich der Arzt mit entwaffnender Offenheit. »Können Sie sich erinnern?«
    Sarah überlegte, was ihr schwer fiel, denn ihr Pulsschlag beschleunigte sich und ein dicker Kloß saß in ihrem Hals und wollte sich nicht auflösen. Es stimmte, dass ihre Zeit ausgeblieben war, aber sie hatte dies der Klimaveränderung zugeschoben, dem Mangel an Schlaf und den Strapazen, die sie während der letzten Wochen durchgemacht hatte. Niemals hätte sie angenommen, dass …
    Aber natürlich war es möglich!
    Sollte sie tatsächlich, ohne es zu ahnen, die ganze Zeit über Kamals Kind unter dem Herzen getragen haben …?
    »U-und Sie sagen, ich hätte das Kind verloren?«
    »Daran besteht kein Zweifel. Die Blutung, die Sie während Ihrer Bewusstlosigkeit erlitten haben, war überaus heftig. Und da waren Spuren von Gewebe, die ich …«
    Er verstummte, als Sarah die Hand hob und ihm zu schweigen gebot. Mehr brauchte sie nicht zu wissen, und mehr wollte sie auch nicht hören. Sie war schwanger gewesen, hatte ein Kind erwartet von dem Mann, den sie liebte – und es verloren!
    Erst nach und nach sank der ungeheure Gedanke in ihr Bewusstsein ein, und eine tiefe Traurigkeit ergriff von ihr Besitz. Niemals hätte Sarah gedacht, dass sie in der Lage wäre, solche Trauer für etwas zu empfinden, von dessen Existenz sie bis vor wenigen Augenblicken noch nicht einmal etwas geahnt hatte.
    »Warum, Doktor?«, fragte sie mit Tränen in den Augen.
    »Schwer zu sagen. Bisweilen kommt es zu solchen Reaktionen. In den meisten Fällen lässt sich kein konkreter Grund für einen Abort ausmachen.«
    »Und in den restlichen Fällen?«
    »War die Mutter dem Gin verfallen oder hat dem Opium gefrönt -wobei weder das eine noch das andere auf Sie zutrifft, richtig?«
    Sarah nickte.
    »Dann nehmen Sie es als das, was es gewesen ist, Sarah – als einen bedauerlichen Zufall.«
    »Es war aber kein Zufall, Doktor«, flüsterte Sarah, von Trauer und Tränen überwältigt. »Nichts geschieht einfach zufällig …«
    »Wie Sie meinen.«
    »Opium, sagen Sie?« Sarah begann nachzudenken.
    »Allerdings.«
    »Wäre es auch möglich, dass das Einatmen giftiger Schwefeldämpfe dazu geführt hat?«
    »Zweifellos«, bestätigte Garribaldi. »Wenn Sie innerhalb der letzten Woche mit derartigen Dämpfen konfrontiert waren, würde ich dies sogar als Hauptursache annehmen. Haben Sie sich in den Tagen danach matt und abgeschlagen gefühlt?«
    Sarah nickte.
    »War Ihnen übel? Hatten Sie das Gefühl, etwas in Ihrem Körper zu haben, das nicht dorthin gehörte?«
    Sie nickte abermals – genauso ließ sich beschreiben, was sie während des gesamten Ritts durch Thessalien, aber auch später auf dem Meteoron verspürt hatte …
    »Dann gibt es wohl keinen Zweifel.« Der Schiffsarzt nickte. »Aber nehmen Sie es nicht zu schwer. Wie ich schon sagte, sind Sie noch immer in der Lage, Kinder zu bekommen, und das allein zählt.«
    Sie nickte gedankenverloren. Was könnte sie auch erwidern, wie einem Fremden, der sie kaum kannte und nicht wusste, was sie durchlitten hatte, klar machen, welchen Verlust sie erlitten hatte?
    »Weiß Hingis davon?«, fragte sie nur.
    »Ja, Sarah. Wünschen Sie ihn jetzt zu sehen?«
    »Bitte.«
    Der Doktor nickte und verließ die Kabine durch die schmale Tür, die schon gleich darauf wieder geöffnet wurde. Es war Hingis mit reparierter Brille und wieder in altgewohnter Kleidung. Sein Haar allerdings war wirr wie ehedem.
    »Sarah.« Mit einem sanften Lächeln im Gesicht trat er an ihre Koje. »Es tut so gut, dich zu sehen.«
    »Geht mir genauso«, entgegnete sie und versuchte sogar das Lächeln zu erwidern, was ihr in Anbetracht all der Tränen in ihrem Gesicht jedoch nicht recht gelingen wollte.
    »Hat der Doktor … es dir gesagt?«
    Sie nickte.
    »Es tut mir leid, Sarah. So unendlich leid.«
    »Ich war schwanger«, hauchte sie fast unhörbar. »Es war
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