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Am Tor Zur Hoelle

Am Tor Zur Hoelle

Titel: Am Tor Zur Hoelle
Autoren: Claude Anshin Thomas
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möglich helfen konnte, am Leben zu bleiben. Das wurde Sinn und Zweck meines Handelns.
    Ich wurde Mannschaftsführer für den Hubschraubereinsatz. Ich war für Transporthubschrauber zuständig – das waren Hubschrauber, die Soldaten zu Kampfeinsätzen brachten, Verletzte evakuierten, Nachschub heranschafften usw. – und für Kampfhubschrauber – das waren diejenigen, die eingesetzt wurden, um Soldaten am Boden Feuerunterstützung zu geben. Als Mannschaftsführer hatte ich nahezu jeden Tag, den ich in Vietnam war, einen Kampfeinsatz. Unter den Auszeichnungen, die ich erhielt, ist auch die Air Medal. Um sie zu bekommen, muss man fünfundzwanzig Kampfeinsätze fliegen und fünfundzwanzig Gefechtsstunden nachweisen. Ich bekam über fünfundzwanzig Air Medals. Das beläuft sich auf über sechshundertfünfundzwanzig Gefechtsstunden und Kampfeinsätze. Bei all diesen Einsätzen wurden Menschen getötet, aber ich betrachtete sie nicht als Menschen.
    Ich begegnete dem vietnamesischen Volk nur auf eine einzige Weise: Ich betrachtete es als meinen Feind. Jeden Einzelnen von ihnen: Ladenbesitzer, Bauern, Kinder, Babys, Frauen, Friseure. Einmal wurden wir außerhalb eines Dorfes im Mekong-Delta abgeschossen. Aus irgendeinem Grund machte ich mich zusammen mit sechs weiteren Soldaten auf den Weg in dieses Dorf. Es war eine Gegend, in der es viele feindliche Attacken gab, aber jenes Dorf sollte friedfertig sein. Als wir das Dorf erreichten, gingen wir an drei oder vier Männern vorüber, die Mönche zu sein schienen: Sie hatten kahlgeschorene Schädel und trugen safrangelbe Roben. Als sie etwa dreißig, vierzig Meter hinter uns waren, drehten sie sich um und eröffneten das Feuer mit AK 47 Sturmgewehren. Von meinen Kameraden wurden drei getötet und zwei verwundet. Getötet und verwundet von Mönchen. Waren es wirklich Mönche gewesen? Ich weiß es nicht. Für uns sahen sie wie Mönche aus. Also waren auch Mönche unsere Feinde.
    Ein andermal wurden wir von einem Dorf aus mit automatischen Waffen beschossen. Die Einheit bat uns um Verstärkung. Wir flogen mit zwei schwer bewaffneten Kampfhubschraubern hin und hatten den Befehl, das gesamte Dorf zu zerstören. Und genau das taten wir. Wir haben alles zerstört. Da gab es nichts, das nicht der Feind war. Das Töten war völliger Irrsinn. Wir haben alles getötet, was sich bewegte: Männer, Frauen, Kinder, Wasserbüffel, Hunde, Hühner. Ohne jedwedes Gefühl, ohne jeden Gedanken. Schlicht aus Irrsinn. Wir haben alles dem Erdboden gleichgemacht: Häuser, Bäume, Karren, Körbe, alles. Als wir fertig waren, ließen wir nichts als Leichen, Feuer und Rauch zurück. Es war alles wie in einem Traum, es schien nicht wirklich. Doch alles, was ich tat, geschah in Wirklichkeit – ich bemerkte es nur nicht. Der militärische Drill, dem ich mich unterworfen hatte, erwies sich als sehr wirkungsvoll. Doch er hatte seinen Preis.
    Meine Aufgabe bestand darin, Menschen zu töten. Als ich das erste Mal verwundet wurde, war ich bereits unmittelbar für den Tod von mehreren Hundert Menschen verantwortlich. Heute noch, jeden Tag, sehe ich ihre Gesichter vor mir.
    Mein Töten war das Ergebnis der Erziehung und Ausbildung, die ich zu Hause, in der Schule, auf dem Sportplatz und in der Armee genossen hatte. Mit Ausnahme einiger speziell militärischer Aspekte dieses Szenarios teilen wir alle, die wir in dieser Gesellschaft und in dieser Kultur aufgewachsen sind, dieselben Erfahrungen. Darin liegt die Saat des Krieges. Diese Saat liegt in der Entmenschlichung anderer Menschen, die wiederum ihre Ursache in der Entmenschlichung unserer selbst hat. Was hat mir größeren Schaden zugefügt? Die Tatsache, dass ich einen Feind getötet habe, der versucht hatte, mich zu töten? Oder die Tatsache, dass mein Ausbilder mich angepinkelt hat? Oder dass mein Vater mich grün und blau geschlagen hat und ich von Kopf bis Fuß blutete (das alles unter dem Deckmäntelchen der Liebe). Ich weiß die Antwort nicht. Aber ich glaube, dass all diese Dinge gleich viel wiegen, was ihre Wirkung auf uns anbelangt – die unmittelbare und tiefgreifende Wirkung.
    Der andere Krieg
    Als ich, zurück in den Vereinigten Staaten, aus dem Krankenhaus kam, in dem ich neun Monate verbringen musste, sah ich mich nicht in der Lage, unter Menschen zu sein und mich wieder in mein soziales und kulturelles
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