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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees
Autoren: Andrea Fazioli
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singen. Manche tauchen wieder auf, manche sind tot, und manche bleiben ein Geheimnis.«
    »Wie dein Vater …«
    »Wie mein Vater. Glaubst du vielleicht, man hätte ihn nicht gesucht? Aber keiner hat wirklich je wieder etwas von ihm gehört. In derselben Zeit ist außerdem ein Freund von ihm verschwunden, ein gewisser Luigi Martignoni, und später war zu hören, dass dieser Martignoni seinen Teilhaber übers Ohr gehauen hat und sich mit einem ansehnlichen Haufen Franken aus dem Staub gemacht hat, wer weiß, wohin. Das Gerede kannst du dir vorstellen …«
    »Das heißt, die Leute haben gedacht, dass auch dein Vater …?«
    »Genau. Mein Vater war durchaus nicht reich, aber … Die Leute dachten, er hat Martignoni bei der Flucht geholfen.«
    »Und du?«
    »Ich denke gar nichts.«
    Francesca schwieg eine Weile. Dann murmelte sie: »Weißt du noch, als mein Vater gestorben ist?«
    Contini nickte.
    »Du hast gesagt, dass du’s nicht richtig findest, zu vergessen. Dass man die Toten nicht einfach gehen lassen soll, dass man sie nicht verlieren darf.«
    »Die Toten …« Contini griff zu Zigarette und Feuerzeug. »Eben, die Toten. Mein Vater aber ist weder lebendig noch tot.«
    Er zögerte.
    »Er ist einfach verschwunden«, fügte er dann hinzu.
    »Aber heute, sagst du, hast du was erfahren?«
    »Nein, ich habe nur den damaligen Dorfpfarrer getroffen.« Contini zündete die Zigarette an. »Er sagt, sie wollen vielleicht den Stausee ablassen.«
    Francesca sah ihn verständnislos an.
    »Am Grund des Sees steht unser altes Haus«, erklärte er. »Und in der Gegend hier kursieren Legenden …«
    Contini starrte in seinen Tee, als fände sich auf dem Grund der Tasse die Geschichte, die er erzählen sollte.
    »Nicht weit von unserem Haus hatte Luigi Martignoni ein Ferienhaus. Mein Vater und er waren oft miteinander auf dem Berg und beim Angeln. Wie gesagt - nach dem Verschwinden der beiden stellte sich raus, dass Martignoni seinen Teilhaber betrogen hatte, einen gewissen Finzi, mit dem er eine Treuhandgesellschaft hatte. Als Martignoni und mein Vater verschwunden waren, dachten die einen an Flucht und die anderen … tja, es gab auch etliche, die dachten, sie seien gar nie fort gewesen.«
    »Sondern?«
    »Manche vermuteten, mein Vater und Martignoni seien ermordet und in einem der Häuser versteckt worden, die tags drauf geflutet wurden.«
    »Oh! Hat die Polizei denn gesucht?«
    »Gesucht schon … aber du kannst ja nicht einen ganzen See leeren und seinen Grund absuchen, bloß weil ein paar Leute Gerüchte in die Welt setzen. Außerdem soll Martignoni, bevor er verschwand, die eine oder andere Andeutung fallen lassen haben … Jedenfalls war die Fluchthypothese nicht so weit hergeholt.«
    »Und du selber hast nie Nachforschungen angestellt?«
    »Vor Jahren.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt weiß ich nicht, ob ich noch einen Versuch machen soll.«
    Francesca trank einen Schluck Tee, um Zeit zu gewinnen. Vergessen … sie glaubte nicht, dass Contini je dazu in der Lage wäre.
    »Wirst du denn jetzt noch mal nach deinem Vater suchen?«
    »Vielleicht«, sagte Contini. »Aber schau mal, wie spät es ist … Musst du nicht zum Zug?«
    »Du hast Recht.« Francesca warf einen Blick auf die Uhr. »Jesusmaria, jetzt pressiert es aber!«
    Contini begleitete sie zur Tür. Sie küsste ihn, dann rückte sie von ihm ab und sah ihm in die Augen.
    »Pass auf dich auf.« Sie streichelte seine Wange. »Sieh zu, dass du keinen Ärger kriegst, ja?«
    »Und du sieh zu, dass du deinen Prof um den Finger wickelst …«
    Contini stand noch eine Weile vor der Tür und horchte Francescas davonfahrendem Auto nach. Dann kehrte er ins Haus zurück, schenkte sich den restlichen Tee ein und ging in den ersten Stock hinauf, wo ein angefangener Brief auf ihn wartete. Er drehte das letzte Blatt um und fügte auf der Rückseite ein paar Zeilen hinzu.
    … und ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen erklären soll, was ich damals dachte. Verstehen Sie, ich war noch keine fünfzehn, der Elia Contini, der ich damals war, kommt mir heute vor wie ein Fremder. Dabei habe ich damals begonnen, der zu werden, der ich heute bin, damals dachte ich zum ersten Mal daran, Detektiv zu werden. Ich weiß noch, wie merkwürdig mich Desolina Fontana immer ansah - als hätte sie mir was sagen wollen, sich aber nicht getraut. Aber wie ich schon sagte, ich wusste doch alles. Ich kannte die Geschichten von Abrechnung und überstürzter Flucht, ich kannte die Legenden von Gespenstern und
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