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Am ersten Tag - Roman

Am ersten Tag - Roman

Titel: Am ersten Tag - Roman
Autoren: Marc Levy
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trockener noch als die im Death Valley. Die uns umgebenden Gipfel sind, so hoch sie auch sein mögen - das heißt über sechstausend Meter -, niemals schneebedeckt. Und genau das ist der Grund, weshalb wir hier arbeiten. Weil die Luft nicht die geringste Feuchtigkeit aufweist, war dieser Ort unter allen anderen der idealste für das größte Astronomieprojekt, das die Erde je hat entstehen sehen. Eine fast unmögliche Herausforderung: vierundsechzig Teleskopantennen zu installieren, jede einzelne von der Höhe eines zehnstöckigen Gebäudes und alle miteinander verbunden. Sobald die Konstruktion beendet ist, werden sie an einen Computer angeschlossen, der sechzehn Milliarden Vorgänge in der Sekunde auszuführen vermag. Wozu? Um aus dem Dunkel herauszutreten, die entferntesten Galaxien zu fotografieren, diese Welträume zu erforschen, die uns heute noch unbekannt sind, und vielleicht um die Bilder der Entstehung des Universums einzufangen.
    Vor drei Jahren habe ich angefangen, für die ESO, die Europäische Sternwarte, zu arbeiten, und bin nach Chile gegangen. Normalerweise ist mein Arbeitsort hundert Kilometer von hier entfernt, im La-Silla-Observatorium. Diese Region befindet sich auf einer der größten Erdbebenspalten des Globus, dort, wo die beiden Kontinentalplatten aufeinandertreffen. Zwei Massen von enormer Kraft, durch deren Übereinanderschiebung einst die Gebirgskette der Anden entstanden ist. Vor wenigen
Nächten hat die Erde gebebt. Es gab keine Verletzten, aber Naco und Sinfoni (jeder unserer Teleskope trägt einen Namen) müssen repariert werden.
    Während dieser Zwangspause hat der Leiter des Zentrums uns - das heißt Erwan und mir - damit beauftragt, die Installierung der dritten Riesenantenne auf der Atacama-Hochebene zu überwachen. Das ist der Grund, warum ich momentan so schlecht Luft bekomme. Wegen eines lächerlichen Erdbebens, das mich hierher in fünftausend Meter Höhe geführt hat.
     
    Noch vor fünfzehn Jahren debattierten die Astronomen über die Existenz von Planeten außerhalb unseres Sonnensystems. Wie bereits gesagt besteht die tiefste Demut für einen Wissenschaftler darin zu akzeptieren, dass nichts unmöglich ist. Hundertsiebzig extrasolare Planeten wurden im letzten Jahrzehnt entdeckt. Alle zu unterschiedlich, zu massiv, zu nah oder weit von ihren Sonnen entfernt, um mit der Erde verglichen zu werden und die Hoffnung zuzulassen, dass sich dort eine uns unbekannte Form von Leben hätte entwickeln können … bis zu der Entdeckung, die meine Kollegen kurz nach meiner Ankunft in Chile machten.
    Mit Hilfe des dänischen Teleskops im La-Silla-Observatorium entdeckten sie eine andere »Erde«, die fünfundzwanzigtausend Lichtjahre von der unseren entfernt ist. Sie ist knapp fünfmal so groß und braucht zehn Jahre unserer Zeit, um ihre Sonne einmal zu umrunden. Aber wer kann bestätigen, dass die Zeit auf diesem so nahen und zugleich so fernen Planeten ähnlich wie bei uns in Minuten und Stunden gegliedert ist? Und selbst wenn dieser Planet dreimal so weit von seiner Sonne entfernt ist, selbst wenn die Temperaturen sehr viel niedriger sind, scheinen dort Bedingungen zu herrschen, die Voraussetzung für die Entstehung von Leben sind. Diese Entdeckung
war allem Anschein nach nicht spektakulär genug, um Schlagzeilen zu machen, und fand in der Öffentlichkeit kaum Beachtung.
    In diesen letzten drei Monaten wurde unsere Arbeit durch diverse Pannen und Missgeschicke verzögert, und das Jahresende sah für mich nicht gut aus. Mangels beweiskräftiger Ergebnisse waren meine Tage in Chile gezählt. Doch trotz meiner Schwierigkeiten, mich an diese Höhen zu gewöhnen, hatte ich nicht die geringste Lust, nach London zurückzukehren. Um nichts auf der Welt wollte ich die Weiten Chiles und meine Schokoladenriegel gegen das kleine Fenster meines engen Büros und das geschmorte Beef and Beans eintauschen, das im Pub an der Ecke Gower Court serviert wurde.
     
    Drei Wochen bin ich jetzt schon in der Anlage auf der Atacama-Hochebene, und mein Körper hat sich immer noch nicht an den Sauerstoffmangel gewöhnt. Wenn das Zentrum einsatzbereit ist, wird in den Gebäuden ein Druckausgleich geschaffen werden, bis dahin aber muss man unter diesen schwierigen Bedingungen leben. Erwan findet, dass ich elend aussehe, und besteht darauf, dass ich ins Basislager zurückkehre. »Am Ende wirst du wirklich krank«, wiederholt er seit zwei Tagen, »und wenn du erst einen Hirnschlag hast, ist es zu spät, um deinen
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