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Am ersten Tag - Roman

Am ersten Tag - Roman

Titel: Am ersten Tag - Roman
Autoren: Marc Levy
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mitnehmen sollte, bevor ich wieder in mein Büro mit dem kleinen Fenster auf die Straße und den Pub an der Ecke Gower Court mit seinem grässlichen Beef and Beans zurückkehren würde. Dort müsste ich dann die spöttischen Blicke meiner Londoner Kollegen ignorieren. Man entledigt sich nie ganz seiner Kindheitserinnerungen. Sie verfolgen einen wie Gespenster und suchen auch den Erwachsenen noch heim.
    Egal ob im Anzug mit Krawatte, im Forscherkittel oder im Clownkostüm, das Kind, das man einst gewesen ist, bleibt immer in einem.

    Es kam nicht in Frage, den Weg über Bolivien zu nehmen - die Serpentinenstraßen klettern auf über viertausend Meter Höhe. Ein Flugzeug brachte mich von San Pedro nach Argentinien und von dort weiter bis nach London. Als ich von meinem Fensterplatz aus sah, wie sich die Bergkette der Anden entfernte, begann ich diese Reise zu hassen und war außer mir über das, was mir da widerfuhr. Hätte ich gewusst, was mich erwartete, wäre mein Seelenzustand mit Sicherheit ein anderer gewesen.

London
    Der Sprühregen, der auf die Stadt niedergeht, erinnert mich daran, wo ich mich befinde. Das Taxi biegt auf den Motorway 1, und ich brauche nur die Augen zu schließen, um den Geruch der alten Holztäfelung und der gebohnerten Böden in der Universitätshalle wahrzunehmen, und selbst den der Ledermappen und durchnässten Trenchcoats meiner Kollegen.
    Direkt nach Hause fahren kann ich nicht, da ich beim Kofferpacken in Chile meinen Hausschlüssel nicht mehr habe finden können. Ich glaube, mich zu erinnern, dass ein zweiter in meiner Schreibtischschublade liegt, also muss ich bis zum Abend warten, um mich dem Staub zu stellen, der in den Monaten meiner Abwesenheit mein Domizil erobert haben dürfte.
    Es ist kurz nach Mittag, als ich vor dem Verwaltungsgebäude der Akademie aussteige. Ein letzter Seufzer, und ich betrete das Gebäude, in dem ich bald meine Tätigkeit wieder aufnehmen werde.
    »Adrian, was für eine freudige Überraschung, Sie hier zu sehen!«
    Walter Glencorse, Personalleiter der Universität. Er muss meine Ankunft von seinem Fenster aus beobachtet haben, und ich kann mir gut vorstellen, wie er die Treppe hinabeilt, kurz vor dem großen Spiegel im ersten Stock anhält, um die spärlichen blonden Strähnen, die seinen Schädel noch zieren, rasch glatt zu streichen.

    »Lieber Walter! Die Überraschung beruht auf Gegenseitigkeit.«
    »Mit dem Unterschied, mein Freund, dass ich nicht nach Peru gereist bin und man mich fast jeden Tag innerhalb dieser Mauern antrifft.«
    »Ich war in Chile, Walter.«
    »In Chile, in Chile, natürlich, wo bin ich nur mit meinen Gedanken? Und diese Geschichte mit der Höhe … Ich habe von dem bedauerlichen Missgeschick gehört, das Ihnen widerfahren ist. Wie schade, nicht wahr?«
    Walter gehört zu jenen Menschen, die in der Lage sind, ernsthaftes Mitgefühl zur Schau zu tragen, während sich in ihrem Innern ein grässlicher Gnom in pinkfarbenem Trainingsanzug auf Kosten anderer vor Lachen den Bauch hält. Er ist einer der wenigen Staatsbürger unseres Königreichs, der die Ziegen und Kühe Großbritanniens überzeugen könnte, auf ihre saftigen Weiden zu verzichten, um Fleischfresser zu werden.
    »Ich habe mir die Zeit freigehalten, um mit Ihnen Mittag zu essen. Sie sind mein Gast«, verkündete er, die Hände in die Hüften gestemmt.
    Damit Walter spontan ein paar Pfund Sterling ausgibt, muss er entweder von der Akademie beauftragt worden sein oder aber eine sehr wichtige Bitte an mich haben. Nachdem ich meinen Koffer an der Garderobe abgegeben hatte - es war überflüssig, mein Büro aufzusuchen und mit dem Chaos konfrontiert zu werden, das dort herrschen musste -, trat ich erneut auf die Straße, diesmal in Begleitung des unsäglichen Walter.
    Sobald wir an einem Tisch des Pubs saßen, bestellte Walter, ohne mich zu fragen, zwei Tagesmenüs, zwei Gläser schlechten Rotwein - also zahlte die Akademie - und beugte sich zu mir, als fürchtete er, unsere Nachbarn könnten unser Gespräch belauschen.

    »Welch ein Glück Sie hatten, ein solch unglaubliches Abenteuer zu erleben … Ich kann mir vorstellen, wie aufregend es war, auf dem chilenischen Atacama-Hochplateau zu arbeiten.«
    Aha, diesmal hatte sich Walter nicht nur das Land gemerkt, sondern sogar den Ort, an dem ich mich noch vor einer Woche befunden hatte. Allein, den Namen zu hören, versetzte mich in die unendlichen chilenischen Weiten, die Pracht der Mondaufgänge mitten am Nachmittag, die
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