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Am Ende zählt nur das Leben

Am Ende zählt nur das Leben

Titel: Am Ende zählt nur das Leben
Autoren: Katja B.
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falsches Alter, falsche Ernährung, vielleicht sogar falsche Nase.
    Als wir das Haus verlassen hatten und im Auto saßen, versuchte Cay mich über die kalte Atmosphäre hinwegzutrösten.
    »Mach’s einfach so wie ich: Lass sie reden! Bei mir geht es in ein Ohr herein und aus dem anderen wieder hinaus.«
    Wenig später überraschte Cay mich mit einem vorweihnachtlichen Präsent. Als er mich in Stuttgart am Bahnhof absetzte, wo der Zug nach Norddeutschland in wenigen Minuten abfuhr, holte er einen Weidenkorb aus dem Auto. Er hatte die Sitzbank heruntergeklappt und eine Decke über den Korb gelegt, sodass ich nicht sehen konnte, was er transportierte. Ich sah bunte Päckchen hervorblitzen. Bei genauerem Hinsehen entdeckte ich Nummern an den einzelnen Verpackungen. Es waren vierundzwanzig Geschenke, eines für jeden Tag bis Weihnachten und mit dem entsprechenden Datum versehen. Cays persönlicher Adventskalender war bereits auf den ersten Blick liebevoll gestaltet.
    »Für dich, mein Kleines. Damit du auch jeden Tag an mich denkst«, sagte er.
    »Vielen Dank, aber das tue ich ohnehin schon.«
    »Umso besser.«
    Nur mit Mühe bekam ich den großformatigen Korb in das Zugabteil.
    Bis Heiligabend erfreute ich mich Tag für Tag an den lustigen Dingen, die er für mich mit so viel Liebe ausgesucht hatte. Mal war es eine Hotelportion mit Nutella, die er irgendwo eingesteckt hatte, weil ich Süßes liebte, und dann eine Frauenzeitschrift, die ich gern las. Zum Nikolaustag fand ich eine hübsche Kette darin und an allen anderen Tagen etwas, von dem er wusste, dass es mir gefiel. Wie viele Gedanken er sich um mich machte! Als ich das Päckchen mit der 24 an Heiligabend öffnete, hielt ich einen edlen Pullover in den Händen.
    In der Weihnachtszeit wurde Cay ruhig und nachdenklich. Auf meine Nachfragen hin erzählte er mir schließlich von den Sorgen um seine Schwester. Sie leide unter heftigem Liebeskummer, und Cay fühlte mit ihr. In solch einer Stimmung hatte ich meinen Freund bisher noch nicht erlebt. Er war in sich gekehrt und so antriebslos. Wenn ich Näheres wissen wollte, reagierte er seltsam.
    Ich erinnerte mich nur zu gut an den Schmerz, den ich nach der Trennung von Robert empfunden hatte. Er war heftig gewesen, und an manchen Tagen hatte ich vor lauter Liebeskummer nicht ein noch aus gewusst. Aber ich hatte erlebt, wie der Schmerz mit der Zeit nachließ. Solche Wunden heilten doch. Dass man als Bruder tagelang so deprimiert war, weil die Schwester Liebeskummer hatte, schien mir überzogen. Meine Familie war immer mein Netz gewesen, wenn ich traurig war. Vielleicht hatte ich aber auch einfach noch nicht genug von der Welt gesehen und erlebt, um so ein intensives Mitgefühl nachvollziehen zu können.
    »Am nächsten Wochenende komme ich hoch. Ich will sie unbedingt sehen. Dann würde ich selbstverständlich auch gern zu dir kommen. Geht das?«, fragte Cay während eines Telefonats.
    »Aber sicher. Warum fragst du?«
    Ich kannte meinen Freund kaum wieder. Er wirkte traurig und beinahe weinerlich. Das war kein Vergleich zu dem stets lustigen und gut gelaunten Cay der ersten Monate.
    Als er endlich bei mir war, tat ich mein Bestes, um ihn aufzumuntern, und fühlte mich dabei in einer ungewohnten Rolle. Während seines Besuchs wollte er mein Zimmer im Dachgeschoss kaum verlassen und igelte sich regelrecht ein. Ich war erstaunt über so viel Mitgefühl für den Liebeskummer seiner Schwester. Dieser Mann überraschte mich immer wieder. Stundenlang hielt ich Cay im Arm und streichelte ihn. Seine Stimmung und sein Antrieb waren ins Bodenlose gesunken. Mir fiel kein Mittel ein, ihn aufzumuntern, aber er betonte immer wieder, wie gut es ihm tue, nichts zu tun und einfach nur neben mir zu liegen.
    Ich war froh, dass ich ihn ein wenig trösten konnte. Cay war sonst so aufgedreht und voller Elan, und ich hoffte inständig, dass er bald wieder der Alte wäre. Der Cay eben.
    Zu Weihnachten kam er erneut nach Norddeutschland, verbrachte aber die meiste Zeit in seinem Elternhaus. An Heiligabend schaute er auf einen Besuch bei uns vorbei. Meine Eltern hatten ihn wie selbstverständlich gefragt, wann er kommen würde. Ihre Frage lautete nicht, ob er komme, sondern wann. Für sie war es selbstverständlich, dass er beim Fest dabei war, denn er war mein Partner. Er gehörte dazu wie die Partner meiner Schwestern.
    Unser Haus war voller Familienangehöriger, und die Kinder waren in ihrer Aufregung noch aufgedrehter als sonst. Alle tobten
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