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Am Ende ist da nur Freude

Am Ende ist da nur Freude

Titel: Am Ende ist da nur Freude
Autoren: David Kessler
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seiner juristischen Denkweise. Sagte William etwas, was nicht »konkret« war, pflegte sein Vater zu erwidern: »So etwas würde ich Geschworenen nie vorlegen.« Wenn William also zum Beispiel erzählte: »Ich habe gehört, dass zwei Kinder aus der Schule nach Hause geschickt wurden, weil sie sich geprügelt haben«, fiel sein Vater ihm mit dem
Hinweis ins Wort: »So etwas würde vor Gericht nie zugelassen. Du musst direkte Kenntnis davon haben.«
    Als es mit Jennifers Gesundheit bergab ging, konzentrierte sich Williams Vater aufs Praktische. Er sorgte dafür, dass ihre Angelegenheiten geordnet waren und sprach mit verschiedenen Ärzten, um sicher zu gehen, dass alle denkbaren Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden. Als sich ihr Zustand verschlechterte, wurde sie ins Krankenhaus eingeliefert. Jeffrey wusste, dass Kinder unter 14 Jahren die Patienten nicht besuchen durften, sagte aber nie etwas dazu. Manchmal bekam William seine Mutter zu sehen, meist aber nicht.
    William sprach diese Regel seinem Vater gegenüber nie an. Er traute sich nicht zu sagen, dass sie ungerecht war, weil er wusste, dass sein Vater das Thema rein sachlich angehen und sofort mit irgendeinem Gesetz vergleichen würde. Er stellte sich vor, dass sein Vater sagen würde: »Das ist die Regel, und du musst sie immer einhalten, selbst wenn eine Krankenschwester sie deinetwegen brechen will.«
    Als seine Mutter nur noch wenige Tage zu leben hatte und kaum noch sprach, durfte William sie besuchen. Er stand neben ihrem Bett. Einmal schaute sie kurz auf und sah ihn; dann schaute sie nach vorne, als wolle sie das Wort an jemanden (vielleicht auch an sich selbst) richten und sagte: »Es tut mir leid wegen dem 16. März.« William dachte sofort: Der 16. März? Das ist mein Geburtstag! Was soll das heißen? Diese Frage ging ihm noch jahrelang nicht aus dem Kopf.
    Nach ihrem Tod dachte William oft an diesen Satz seiner Mutter, denn er konnte nie wirklich verstehen, was sie damit sagen wollte. Es war ihm nicht wohl bei dem Gedanken, mit seinem Vater darüber zu sprechen. Denn der war kein Mann, der sichtbar trauern konnte. William wusste, dass Jeffrey traurig war und Jeffrey wusste, dass sein Sohn traurig war, aber sie sprachen nie über ihre Gefühle.
    Als William etwa 17 Jahre alt war, probierte er ein Set zum Selberentwickeln von Fotos aus. Er baute all die Lösungen vor sich auf und fragte sich, ob aus dem leeren Blatt Papier am Ende tatsächlich ein scharfes Foto würde. Aus irgendeinem Grund musste er plötzlich an den Satz seiner Mutter von vor so vielen Jahren denken. Vielleicht konnte er jetzt endlich mit seinem Vater darüber sprechen. Der Satz war natürlich überhaupt nicht konkret, aber vielleicht war ihm ja die Tatsache, dass sie ihn gesagt hatte, Indiz genug. Vielleicht musste die Geschichte ja gar nicht so vollständig entwickelt werden wie sein Bild.
    William sah herunter und schaute zu, wie unter Zugabe der Lösungen ein Bild erschien. Er ließ das Foto trocknen und nahm sich vor, es später seinem Vater zu zeigen und dabei die Sache mit dem Satz anzuschneiden, den seine Mutter auf dem Sterbebett gesagt hatte. Als sein Vater nach Hause kam, zeigte William ihm das Foto und erklärte, er habe es mit einem Entwicklerset selbst entwickelt.
    Jeffrey sah es sich eine Weile an und gab es seinem Sohn zurück mit den Worten: »Das ist kein schönes Bild. Du solltest nie etwas zeigen, das dir nicht aufs Beste gelungen ist. Geschworenen würde ich so etwas bestimmt nie vorlegen.« Unnötig zu erwähnen, dass William daraufhin beschloss, den Satz, den seine Mutter auf dem Sterbebett gesagt hatte, seinem Vater gegenüber nicht zu erwähnen. Er konnte förmlich hören, wie sein Vater ihn verwarf.
    Leider starb Jeffrey fünf Jahre danach an einem Herzinfarkt. William hatte ihm nie etwas von den letzten Worten seiner Mutter erzählt. Nur wenige Jahre später fand sich William, inzwischen 25, am Sterbebett seiner Tante Mona wieder und bekam eine erste Ahnung von des Rätsels Lösung.
    William saß still da und studierte das Gesicht seiner Tante. Wie ähnlich sie seiner Mutter doch war. Plötzlich belebte sich Monas Gesicht. Sie wachte auf und sah ihren Neffen neben sich sitzen. Ohne nachzudenken, legte er los: »Als Mam starb, sagte sie mir, es täte ihr leid wegen dem 16. März. Das ist mein Geburtstag.«
    Seine Tante erwiderte: »Deine Mutter hatte sehr jung ein Kind. Wir wussten alle Bescheid.« Mehr sagte sie nicht dazu. Solange er da war, sprach
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