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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters
Autoren: Robert Silverberg
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angesichts der Notwendigkeit, die zusätzlich geschenkten Tagesstunden sinnvoll auszufüllen.
    Am schlimmsten waren die Jungen. »Ach, diese Kinder!« hatte der bärbeißige Krieger Konya gemurrt. »Wenn die sich weiterhin dermaßen wild aufführen, sollten wir für sie wirklich wieder die militärische Dienstpflicht einführen und sie schleifen!« Und die Jugendlichen störten ja wahrhaftig mit ihren lauten Aberwitzigkeiten die friedliche Ruhe im Kokon, dachte Koshmar oft, besonders der sonderbare kleine Hresh und die bezaubernde Taniane mit den traurigen Augen, und dieser Orbin, der kleine Muskelprotz mit dem riesigen Brustkasten, und sogar Haniman, untersetzt und tolpatschig. Gewiß, Kinder sollten lebhaft sein; doch konnte sich keiner im Volk an vergleichbare Energieausbrüche und irre Hektik erinnern, wie diese vier sie zur Schau stellten: Sie tanzten stundenlang ununterbrochen wie irre im Kreis und sangen und grölten lange Liedgesänge ohne Sinn dazu; sie hantelten sich Hand über Hand die rauhen Wände des Kokons nach oben und baumelten schaukelnd von der Decke. Gerade vor einer Woche, als Koshmar den Ritus am Lord Fanigole-Tag feierlich zu vollziehen versucht hatte, war man gezwungen gewesen, die kleinen Rabauken zur Stille zu ermahnen, und selbst dann gehorchten sie nicht allzu eifrig. Und dieser Versuch von Hresh heute morgen, nach draußen zu gelangen… das alles war Ausfluß ein und derselben Wildheit.
    Danach waren die Brutpaare von dem Fieber erfaßt worden, Nittin und Nettin, Jalmud und Valmud, Preyne und Threyne. Es war klar genug, daß alle drei Paare ihren Zuchtpflichten gebührlich nachgekommen waren – das stand außer Zweifel, und man konnte es an den schwellenden Bäuchen ablesen –, und dennoch, da waren sie und waren immer noch dabei und kopulierten den ganzen Tag lang in hektischem Eifer trotzdem weiter, als könnte irgendwer sie beschuldigen, sie wären pflichtvergessen gewesen.
    Und ganz zuletzt wurden auch die älteren Stammesangehörigen von dieser neuen Rastlosigkeit angesteckt: Thaggoran, der in den uralten tiefen Gängen nach Schimmersteinen herumschnüffelt; der klobige Rotbart Harruel, der wie ein Junge die Wände emporklettert; Konya, der die Muskeln spielen läßt und auf und ab marschiert. Und Koshmar spürte es auch selbst. Es war wie ein tiefsitzendes Jucken unter ihrem Fell, sogar unter der Haut selbst. Und sogar die Eisfresser hatten sich erhoben und stiegen auf. Großer Wandel war auf dem Wege: Denn wozu sonst hätte Ryyig Träumeträumer denn an diesem Morgen erwachen sollen – wenn auch nur für einen kurzen Augenblick –, wozu hätte er so laut schreien sollen?
    »Koshmar?« mahnte Thaggoran schließlich, nachdem sie allesamt lange geschwiegen hatten.
    Sie schüttelte den Kopf. »Laßt mich in Frieden!«
    »Du hast gesagt, du willst zu den Eisfressern hinabgehen, Koshmar.«
    »Nicht jetzt. Wenn er wieder aufwacht, dann muß ich an seiner Seite sein.«
    »Ist es möglich?« fragte Torlyri. »Daß er jetzt noch einmal aufwacht? Was meinst du?«
    »Woher soll ich das wissen? Du hast das gleiche gehört wie ich, Torlyri.« Dann fiel Koshmar auf, daß das Kind Hresh sich ebenfalls noch immer im Raum befand; stumm jetzt, bewegungslos, in ehrfürchtiger Scheu erstarrt. Sie funkelte ihn böse an. Dann glitten ihre Augen zu Torlyris Augen hinüber, und sie erkannte das weiche sanfte Flehen darin.
    Torlyri schlug das Zeichen Mueris in ihre Richtung, der sanften, gütigen Mutter Mueri, der Trösterin, der Göttin Mueri, deren Schutz Torlyri sich ganz besonders geweiht hatte.
    »Also gut«, sagte Koshmar endlich und gab ein Zeichen stummen Einverständnisses. »Ja, ich begnadige ihn. Wir können doch nicht am Tag, an dem der Träumeträumer erwacht, einen von unseren Leuten verstoßen – denke ich mir jedenfalls. Aber schaff ihn augenblicks hier raus. Und sorg dafür, daß er begreift, wenn er sich noch einmal was zuschulden kommen läßt, dann werde ich… dann werde ich… ach, verdammt, schaff ihn mir aus den Augen, Torlyri! Sofort!«
    In der Kriegerkammer brach Staip den Exerzierdrill ab und blickte stirnrunzelnd nach oben.
    »Habt ihr grad auch was gehört?«
    »Ich hör das Geräusch von ‘nem Kneifarsch«, grunzte Harruel.
    Staip überging die Beleidigung. Harruel war groß und gefährlich; man legte sich nicht leichtfertig mit ihm an. »Ein Aufschrei – irgendwie«, sagte er. »Fast wie ein Schmerzensgeheul.«
    »Erst die Übung, dann das Quatschen«, sagte
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