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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters
Autoren: Robert Silverberg
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Dach des Kokons zuschießen sehen.
    Koshmar fuhr erschrocken zu den beiden herum. In ihrer ärgerlichen Gereiztheit stellte sich ihr dichter graubrauner Pelz wie ein Mantel um sie herum auf, so daß sie um fast die Hälfte ihrer Gestalt anzuwachsen schien.
    »Was soll das? Was hat er jetzt wieder angestellt?«
    »Ich ging zum Opfer hinaus«, begann Torlyri, »und einen Atemzug später fing ich aus dem Augenwinkel den Anblick dieses…«
    Thaggoran betrat in dem Moment die Kammer. Zu Koshmars Verblüffung rollten seine Augen fast so wild wie die von Hresh. Er schlug mit den Armen und dem Sensororgan auf seltsam verwirrte Art umher und seine Stimme schoß so schnell und so verschliffen aus ihm, daß Koshmar nur bruchstückweise verstand, was er ihr zu sagen sich mühte.
    »Eisfresser – der Kokon – direkt drunten, genau auf uns zu – ist die Wahrheit, Koshmar, die Weissagung…«
    Und die ganze Zeit über wimmerte und winselte Hresh weiter und Torlyri erzählte weiter mit ihrer sanften Stimme unbeirrbar ihre Geschichte.
    »Nicht alle gleichzeitig!« schrie Koshmar. »Ich kann überhaupt nichts hören, was ihr sagt!« Sie funkelte den schrumpeligen alten Chronisten in seinem weißen Alterspelz und mit der gekrümmten Gestalt an, durch die er aussah, als drückte ihn das kostbare tiefe Wissen zu Boden, die Kenntnis der Vergangenheit, die er allein auf seinen Schultern trug. Noch nie hatte sie den Mann dermaßen außer sich erlebt. »Eisfresser, Thaggoran? Sagtest du – Eisfresser?«
    Thaggoran zitterte. Er brabbelte dunkel und leise etwas vor sich hin, das jedoch in dem panikhaften Gebrüll Hreshs unterging. Koshmar schaute ihre Tvinnr-Partnerin verärgert an und schnauzte sie an: »Torlyri, wieso ist das Kind hier?«
    »Das versuche ich dir ja die ganze Zeit zu erklären. Ich erwischte ihn dabei, wie er durch die Luke zu schlüpfen versuchte.«
    »Was?«
    »Ich hab bloß mal den Fluß sehen wollen!« heulte Hresh. »Bloß mal so ein ganz kleines bißchen!«
    »Weißt du, was das Gesetz sagt, Hresh?«
    »Aber es war doch bloß ganz, ganz kurz!«
    Koshmar seufzte. »Wie alt ist er, Torlyri?«
    »Acht, glaube ich.«
    »Dann kennt er das Gesetz. Gut, er soll den Fluß sehen. Bring ihn hinauf und stoß ihn hinaus!«
    Auf Torlyris sanftem Gesicht zeichnete sich Betroffenheit ab. In ihren Augen glitzerten Tränen. Hresh begann sogar noch lauter zu heulen und zu kreischen. Aber Koshmar reichte es nun. Der Junge war seit langem eine Plage gewesen, und das Gesetz war eindeutig. Also, an die Luke mit ihm, und dann war man ihn glücklich los! Sie machte eine ungeduldige fegende Geste der Entlassung und wandte sich wieder Thaggoran zu.
    »So. Und was ist das nun mit den Eisfressern?«
    Mit zittriger Stimme ließ der Chronist eine wundersame, bestürzende Mär vom Stapel; er erzählte bruchstückhaft, und man vermochte ihm nur schwer zu folgen. Irgend etwas, daß er nach Schimmersteinen in der Mutter des Frosts gesucht habe und dabei mit dem Sensor Äußerungen von etwas Lebendem in der Nähe aufgefangen hatte, von etwas Großem, das sich in einem Grabtunnel durch den Fels bewegte. »Ich habe Kontakt aufgenommen«, sagte Thaggoran, »und dabei habe ich das Hirn eines Eisfressers berührt – ich will sagen, man kann ja nicht eigentlich unterstellen, daß Eisfresser so etwas wie Vernunft besitzen, aber gewissermaßen haben sie doch so was dergleichen – und was ich dabei gespürt habe, war…«
    Koshmar knurrte: »Wie weit von dir weg war das?«
    »Gar nicht weit. Und es waren noch mehr da. Vielleicht alles in allem ein Dutzend, ziemlich in der Nähe. Koshmar, bist du dir darüber im klaren, was das bedeutet? Es muß das Ende des Winters nahe sein! Die Propheten haben es geschrieben: ‚Wenn die Eisfresser sich zu erheben beginnen…’«
    »Ich weiß, was die Propheten geschrieben haben«, sagte Koshmar scharf. »Und diese – Wesen dringen direkt unter der Wohnkammer herauf, sagst du? Bist du sicher?«
    Thaggoran nickte. »Sie werden direkt durch den Boden herauf dringen. Ich weiß zwar nicht, wie bald schon – es könnte in einer Woche sein, in einem Mond, vielleicht auch erst in sechs Monden… aber ohne jeden Zweifel streben sie genau auf uns zu. Und, Koshmar, sie sind gewaltig, riesenhaft.« Er reckte seine Arme, so weit er nur konnte. »Ihr Umfang ist so groß… vielleicht noch größer…«
    »Götter, verschont uns!« murmelte Torlyri. Und der Knabe Hresh gab ein kurzes Keuchen der Verblüffung von sich.
    Koshmar
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