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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht
Autoren: Marcia Muller
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Schüler-Lehrer-Verhältnis zu werden versprach? Und
obwohl sich mir die Frage immer noch manchmal aufdrängte — auch jetzt, da ich
sie so lebhaft reden und mit ihren schmalen Händen Loopings und Rollen in der
Luft vollführen sah hatte ich diesen Entschluß doch nie bereut. Matty hatte
eine magische Art, ihren Schülern ihr eigenes Können zu vermitteln; in
Situationen, in denen die Nerven des Neulings blanklagen, strahlte sie Ruhe und
Ermutigung aus; ihre Begeisterung auch für die trivialen Aspekte des Fliegens —
und deren gibt es viele — war ansteckend. Sie hatte aus mir die Pilotin
gemacht, die ich jetzt war.
    Beim Fliegen ist das Schüler-Lehrer-Verhältnis
ein ganz spezielles, nicht zuletzt, weil die Unterrichtssituation alles andere
als ideal ist. Ein paar Jahre, bevor ich Matty kennenlernte, hatte ich ein paar
Flugstunden bei einem Marineflieger gehabt, mit dem ich damals zusammengewesen war;
dann war ich mit Hy mitgeflogen. Doch als ich mich zum ersten Mal auf dem
linken Sitz ihrer Cessna festschnallte, wurde mir schlagartig klar, daß ich
mein Leben in die Hände dieser Fremden legte.
    Während der langen Stunden, die wir
gemeinsam im Cockpit verbrachten, erfuhr ich eine Menge über mich selbst — und
über Matty. Wir waren beide eher zurückhaltende Menschen. Wir sprachen nicht
über persönliche Dinge, kehrten unsere Gefühle nicht nach außen. Selbst wenn
mich ein starker Seitenwind beim Landen in ein Häufchen Wackelpeter
verwandelte, unterdrückte ich jeden Schreckenslaut und konzentrierte mich
darauf, die Maschine in den Sideslip zu legen. Selbst wenn meine Angst, in
einer tückischen Situation die Kontrolle über die Maschine zu verlieren, ihre
Geduld strapazierte, platzte Matty nicht los. Wir hielten einander, wie mir
später klar wurde, auf Armeslänge, und das auf einem Raum, der kaum eine
Armeslänge maß.
    Und dennoch: unter so beengten
Verhältnissen teilt sich das Innere eines Menschen auch ohne Worte mit. Bis ich
meinen Pilotenschein machte, konnte jede von uns mit einem Blick erkennen, was
in der anderen vor sich ging.
    Und auch heute konnte sie mir nichts
vormachen. Sie mochte ihr Bestes tun, mich davon abzulenken, wie nervös und
sorgenvoll sie aussah, aber auch das munterste Geplauder vermochte die
offenkundigen Zeichen innerer Anspannung nicht zu überspielen.
    Sie verabschiedete sich jetzt von der
Frau, mit der sie geredet hatte, und kam an unseren Tisch. Als sie sich setzte
und die seit Jahren immer gleiche Speisekarte wegschob, sagte sie: »Das war
eine meiner ehemaligen Schülerinnen. Sie will in die Kunstfliegerei einsteigen.
Nur zu, sage ich.«
    »Werden Sie’s ihr beibringen?«
    »Nein, auf dem Gebiet bin ich nicht die
beste Lehrerin. Der Mann, bei dem ich es selbst gelernt habe — Jim Powell, Sie
kennen ihn ja — , der ist der beste Trainer weit und breit. Ich schicke sie zu
ihm.« Sie betrachtete mich einen Moment, ihre Augen waren hinter der
Sonnenbrille nicht zu erkennen. »Haben Sie je daran gedacht, so was zu machen?«
    »Kunstflug? Nein. Okay, ich spiele
manchmal ein bißchen rum — in großer Höhe und unter Ripinskys Aufsicht. Aber um
darin gut zu sein, muß man hart arbeiten, und meine Detektei am Laufen zu
halten lastet mich im Moment voll aus.«
    »Na ja, vielleicht überlegen Sie sich’s
ja eines Tages. Ich würde gern sehen, wie Sie sich dabei anstellen. Obwohl —
Sie haben Stalls immer schon gehaßt, von daher bin ich mir nicht sicher, wie
Sie zum Beispiel ein ›welkes Blatt‹ hinkriegen würden.«
    Ich lächelte leise. Falls wir heute
nachmittag einen kleinen Ausflug mit der Cessna machen sollten, würde sie schon
sehen, wie ich jetzt mit diesen Überziehsituationen klarkam.
    Sie sagte: »Sie fliegen also immer noch
Ripinskys kleine Spornradmaschine?«
    »Sooft ich kann.«
    »Wieso sind Sie heute nicht damit
hergekommen?«
    »Er hat sie mit oben auf dem Tufa Tower
Field. Er kommt zwar heute nachmittag noch zurück, aber ich mußte mir trotzdem
eine Maschine leihen, und aus sentimentalen Gründen habe ich die Cessna 150
genommen.«
    »Sie meinen, weil die am billigsten
war. Obwohl es ja nicht so aussieht, als ob Sie und Hy knapp dran wären; als
ich das letztemal in Oakland aufgetankt habe, hat mir einer von den Tankwarten
dort erzählt, Sie hätten mit Hy zusammen ein Häuschen an der Küste gekauft. In
Mendocino County, stimmt’s?«
    »Schon. Aber wir haben es nicht richtig
gekauft; es wurde uns von Freunden, die mit diesem Ort schlechte
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