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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht
Autoren: Marcia Muller
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Reade um Klassen überlegen.«
    Einen Moment lang starrten wir beide
schweigend auf den Leichnam. Dann sagte Hy: »Duncan Stirling, flüchtiger
Verbrecher und Einsiedler — Opfer eines Unglücksfalls.«
    »Amen.«
    »Und Fall erledigt.«
    Darauf sagte ich nichts. Hy war müde
und nicht imstande, klar zu denken. Ich fragte mich, wie lange es wohl dauern
würde, bis er begriff, daß Stirling Matty nicht umgebracht hatte — und daß
keiner der übrigen Beteiligten ein Motiv dafür gehabt hätte.

Drei
Jahre zuvor
     
    »Rollen Sie an den Halteort, McCone,
und bleiben Sie kurz stehen.«
    »Was machen Sie da? Schnallen Sie sich
wieder an!«
    »Nichts da. Zwei perfekte Starts und
Landungen heute. Zeit, daß Sie allein fliegen.«
    »Sie steigen nicht aus diesem
Flugzeug!«
    »Oh, doch, das tue ich. Und Sie werden
eine perfekte Platzrunde fliegen — ganz allein,«
    »Matty —«
    »Holen Sie mich hier ab, wenn Sie
wieder zurück sind. Dann machen wir eine kleine Sause an die Küste und gucken,
ob sich dort irgendwelche Wale rumtreiben.«
    »Matty!«
    »Machen Sie schon, McCone. Sie brauchen
mich nicht mehr. Zeit zum Loslassen.«

 
     
     
     
    Fünfter Teil

7.-25.
Dezember
     
     

24
    Ich konnte nicht schlafen.
    Ich lag zu Hause in meinem Bett, und Hy
war schon vor mindestens zwei Stunden eingeschlafen, aber ich fand einfach
keine Ruhe. Ich versuchte mich auf meine Weihnachtsgeschenkeliste zu
konzentrieren, auf den Friseurtermin, den ich unbedingt machen mußte, auf den
ganzen Papierkram, der sich im Büro angesammelt hatte. Ja, ich dachte sogar
darüber nach, daß heute Pearl-Harbor-Tag war. Aber immer wieder verdrängten die
Bilder aus Minnesota das Harmlos-Alltägliche: der Gang durch dieses
gespenstische, lichterfüllte Birkengewölbe; Ash Walker, der aus dem Schatten
hinter der Maule trat; Dune Stirlings steifgefrorener Leichnam; das Wrack des
blauen Kufenflugzeugs; Winthrop Reades benebeltes Gesicht...
    Hy und ich hatten in den
zurückliegenden anderthalb Tagen unsere letzten Energiereserven mobilisieren
müssen, daher war ihm bisher der logische Fehler unserer Theorie — nicht nur
Mattys, sondern auch Andie Walkers, Cutters und Matthews’ Tod betreffend —
entgangen. Ich hatte ihn vorläufig in seinem Irrtum belassen, aber das Problem
nagte an mir, hinderte mich am Schlafen und quälte mich, wenn ich wach war, und
mir war klar, daß ich demnächst mit ihm darüber reden mußte.
    Einfach gesagt: Dune Stirling hatte
keinen dieser Morde begangen. Für mich war klar, daß er sofort, nachdem man ihn
gegen Kaution entlassen hatte, abgetaucht war und mit niemandem aus seinem
früheren Leben mehr Kontakt gehabt hatte. Er konnte nicht gewußt haben, wo Ash
Walker lebte, geschweige denn, daß er mit Matty zusammenlebte, und ich
bezweifelte sehr, daß er nach all den Jahren dort draußen in der Wildnis noch
Rachegedanken gehegt hatte. Außerdem stimmte das Timing nicht; aller
Wahrscheinlichkeit nach hatte Walker Stirling schon Tage vor der Flugshow
erschossen, bei der Matty umgekommen war.
    Blieb Winthrop Reade als
Hauptverdächtiger — nur daß der kein Motiv gehabt hatte, die beiden Frauen
umzubringen. Reade hatte Dune Stirling aus dem Weg haben wollen, damit er an
seiner Stelle David Stirlings Vermögen erben würde, aber er hatte keinen Grund,
sonst jemanden umbringen zu lassen. Ich hatte noch andere Möglichkeiten durchgespielt:
Calder Franklin, weil er vielleicht doch in dem Drogen- und Waffengeschäft mit
dringesteckt hatte und Walker sowie dessen Frauen zum Schweigen bringen mußte.
Aber das haute nicht hin; Franklin war vor Jahren von jedem Verdacht der
Beteiligung an dem, was im Flugzeugwerk geschah, reingewaschen worden und hatte
mich außerdem an dem Nachmittag, ehe Hy und ich nach Minnesota geflogen waren,
telefonisch zu warnen versucht. Das hatte mir der Anwalt in einem kurzen,
aufgebrachten Telefongespräch an diesem Abend eröffnet. Seine letzten Worte
hatten gelautet: »Wenn Sie bloß auf mich gehört hätten, dann wäre es nicht zu
diesem Fiasko droben in Minnesota gekommen. Jetzt ist eine Menge
Schadensbegrenzung nötig, ehe Win in den Senatswahlkampf zieht.« Und schließlich
hatte ich, in dem verzweifelten Wunsch, die Sache endlich abschließen zu
können, sogar Ash Walker als Täter in Betracht gezogen, aber sowenig ich diesen
Mann leiden konnte, mußte ich doch zugeben, daß ich mir da ein lächerliches
Szenario zurechtbastelte.
    Es deutete alles darauf hin, daß dieser
Fall noch jahrelang an
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