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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung
Autoren: Amelie Fried
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halb aufgetrennte Hosenbeine um ihre Schnürstiefel schlackerten, einen riesenhaften Pullover und eine umgedrehte Baseballkappe. Ihre Augen hatte sie dunkel geschminkt, ihre Lippen leuchteten in einem aufreizenden Brombeerton. Lucy war doch so hübsch, warum entstellte sie sich derartig?
    »Na, ihr Turteltäubchen, habt ihr ’ne kleine Morgennummer geschoben?«
    Ich errötete, stand auf und zog schnell meinen Morgenmantel über der Brust zusammen. Lucy stürmte zum Kühlschrank, riß die Milchflasche heraus und setzte sie an den Mund.
    »Moment mal, junge Dame, so geht das aber nicht!«
    Friedrich bemühte sich um einen autoritären Tonfall.
    »Hallo, Papa, nett, dich mal wieder zu sehen!«
    Sie knallte die Flasche auf den Tisch, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und entzog sich geschmeidig seinem Zugriff. Im nächsten Moment war sie aus der Küche.
    »Es hat keinen Sinn«, murmelte ich, »Erziehung ist zwecklos.«
    »Stimmt, Mami!« ertönte jetzt Jonas’ Stimme. Er umrundete mich auf dem Skateboard. »Kinder wissen selbst am besten, was gut für sie ist. Man muß sie ihre Erfahrungen machen lassen.«
    Wo hatte er das bloß wieder aufgeschnappt? Ich fuhr ihm mit der Hand durch die Haare, als er kurz in meine Nähe kam, und verzichtete darauf, eine Debatte über den Sinn und Zweck von Erziehung zu beginnen. Statt dessen widmete ich mich meinen hausfraulichen Pflichten.
    Mit Gummihandschuhen an den Händen und gerümpfter Nase nahm ich ein Hähnchen aus, wusch es, tupfte es vorschriftsmäßig mit Küchenkrepp ab und füllte es mit einer Mischung aus Zwiebeln und Äpfeln. Ich liebte Hähnchen, wenn es braun und knusprig auf meinem Teller lag, aber ich ekelte mich vor dem blassen, toten Tier, dessen weiche Haut sich widerstandslos hin und her schieben ließ, während ich es mit Pfeffer, Salz und Paprika einrieb. Erleichtert schob ich den Bräter mit dem präparierten Vogel in den Backofen.
    Schnuppernd kam Jonas wenig später zurück in die Küche.
    »Schon wieder Hähnchen?« fragte er, und ich nickte.
    Wütend stampfte er auf. »Du weißt doch, daß ich keine Vögel esse! Vögel sind meine Lieblingstiere, und du bist brutal und gemein!«
    Er lief aus der Küche. Aufseufzend zuckte ich die Schultern. Das Thema war ein Dauerbrenner, aber ich hatte beschlossen, mich nicht kleinkriegen zu lassen. Ich zwang ihn ja nicht, Hähnchen zu essen. Aber ich sah auch nicht ein, warum ich mich seiner Kleine-Jungen-Marotte unterwerfen sollte.
    Solange der Braten schmorte, widmete ich mich dem Auf- und Abhängen meiner Wäsche. Ich hatte keinen direkten Widerwillen gegen Hausarbeit, aber gelegentlich fragte ich mich doch, ob diese öden, immer wiederkehrenden Tätigkeiten wirklich der Sinn meines Lebens sein könnten.
    Ich liebte meinen Mann und meine Kinder, ich fühlte mich (trotz des Traumes von der Großstadt) im Grunde wohl in unserem Häuschen, ich war glücklich in unserer gemütlichen, kleinen Spießeridylle, in der alles berechenbar und ungefährlich war. Das entsprach meinem Naturell. Ich fand, es kam darauf an, mit welchem Bewußtsein man spießig war. Der Besitz eines Gartengrills änderte nichts daran, daß ich in meiner Seele eine Rockerin war. Aber ich mußte auch nicht alle meine Träume ausleben. Ich war in Wahrheit nicht besonders abenteuerlustig, sondern schätzte die Beständigkeit. Nur in seltenen Momenten, meistens nachts, wenn eines der Kinder mich geweckt hatte und ich nicht wieder einschlafen konnte, beschlich mich ein komisches Gefühl.
    Vielleicht gäbe es, ganz nahe bei meinem, ein ganz anderes Leben? Vielleicht würde ein bißchen Mut oder Übermut ausreichen, und mein Leben wäre mit einem Schlag unberechenbar und gefährlich? Noch während ich das dachte, bekam ich jedesmal Angst. Ich war nicht mutig und schon gar nicht übermütig. Ich war eine ganz normale Frau mit einem ganz normalen Leben. Ich wollte kein anderes. Alles war gut, wie es war.

Zwei
     
    Großkampftag im Supermarkt. Alle Vorort-Muttis waren unterwegs, um sich für Weihnachten einzudecken. Ich holte tief Luft und startete.
    Nudeln, Knäckebrot, Cornflakes, Knödel halb und halb, Rotkraut – das lief ja wie geschmiert. Verdammt, keine konservierten Eßkastanien mehr für die Gänsebratenfüllung! Ich war zu spät dran, wie jedes Jahr.
    Beim Schälen der frischen Kastanien würde ich mir wieder die Fingernägel ruinieren.
    Kaffee, Honig, Marmelade, Erdnußbutter. Lange frühstücken war das Schönste an Feiertagen.
    Den
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