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Am Anfang war das Chaos

Am Anfang war das Chaos

Titel: Am Anfang war das Chaos
Autoren: Hans Kneifel
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Donnerschlägen an die Ohren Ilfas und Caronjs.
    Unsichtbare kleine Tiere flüchteten vor dem Beben und vor den beiden Fremdlingen. Seit Tagen war Ilfa unterwegs, und obwohl er Pfeil und Bogen meisterhaft zu handhaben wußte, hatte er nicht den kleinsten Braten geschossen.
    »Die Welt ist aus den Fugen!« meinte Caronj.
    Ilfa zählte erst zwanzig Lenze; so hatte es Helmond bezeichnet. An seiner Seite hatte er unendlich viel gelernt. Ilfa führte das Schwert mit fast derselben Geschicklichkeit wie der Vater. Aber auch er, der Listenreiche, konnte nicht genau sagen, was wirklich vor etlichen Monden geschehen war.
    Noch ein Stoß, noch ein Donnerschlag aus der Höhe, dann beruhigte sich der lehmige Boden wieder.
    Durch das Geäst fuhr ein hohles, fauchendes Brausen. Es fing zu regnen an, zum zweitenmal an diesem Tag. Schwere Tropfen prasselten herunter wie geschleuderte Steine. Caronj knurrte:
    »Auch das noch! Hunger und Nässe.«
    »Wir sind in einem seltsamen und gefährlichen Land, Freund«, klagte Ilfa und duckte sich unter einem zurückschnellenden Ast. Das Rauschen und Prasseln wurde lauter.
    Noch vor etlichen Monden fürchteten viele in der Schattenzone Helmonds Rotte. Sie hatte viele Eindringlinge, die von Pfadern angeführt worden waren, überfallen und beraubt. Schattenparadies aber, ihr Unterschlupf, davongeschleudert und im unbekannten Teil des Landes Gorgan abgesetzt worden, hatte viele ihrer Bande getötet. Zwar zerfetzten die gigantischen Gewalten die Landinsel nicht völlig, aber die Bandenmitglieder wurden von Trümmern zerschlagen, von Flutwellen davongerissen, von Blitzen getroffen und waren in Erdspalten verschwunden, die sich knirschend wieder schlossen. Viele der Rottenkrieger wurden von riesigen Tieren ergriffen, die aus dem Dschungel auftauchten, und die Übriggebliebenen wußten, daß ihre Kameraden in Stücke gerissen worden waren.
    Nur noch sechs waren übriggeblieben.
    »Gefährliches Land. Du sagst es.«
    Durch den peitschenden Regen, der nicht sonderlich kalt war, durch einen Schauer eiskalter, fetzender Hagelschloßen tappten sie über den schmalen Pfad. Blätter zerfaserten unter den Hageleinschlägen. Ranken peitschten hin und her, und Wasser füllte die Hufeindrückte aus. Der Pfad wand sich an herausgerissenen Wurzeln vorbei, zwischen Felsen hindurch und auf eine Barriere aus schwarzen, rissigen Felsen zu. Sie sahen aus wie kantige Tafeln, die von einer riesigen Hand in eine Richtung gekippt worden waren.
    Ein riesiger Baum, der sich vor ihnen im Sturm schüttelte, breitete seine Äste und Blätter über die Grabsteine oder den Ruinenrest. Der grüne Überwurf Ilfas war durch und durch naß; die Fiederung der Pfeile begann sich aufzulösen.
    »Halt. Eine Spur!« sagte Caronj. Er drängte seinen triefenden Körper an die Rinde des knorrigen Stammes. Mit der Spitze der Kampfaxt zeigte er auf den Boden.
    »Tatsächlich. Wenn wir das Tier bekommen…«, flüsterte Ilfa und sprang vom Rücken des Zentauren.
    Sie folgten der Spur, die aus kantigen Eindrücken bestand. Braunes Haar hing an den Dornen der Büsche, durch die das Tier geflohen war.
    »Ich komme hinter dir her«, murmelte Caronj. »Sei vorsichtig.«
    Die beiden Fremdlinge kannten nicht einmal die Tierwelt ihrer neuen Umgebung. Nur einige schwarze Vögel hatten sie gesehen, zudem seltsame Ratten mit grauen Schwänzen. Hin und wieder verirrten sich Tiere, die wie Hasen ohne Ohren aussahen, auf die Insel der Helmond-Rotte. Es gab nur kümmerliche, zähe Braten.
    Geräuschlos, geschützt von den triefenden Zweigen und dem Geräusch des Hagelregens, pirschte sich Ilfa davon. Ilfas knabenhafte Gestalt, gekrönt von einem zerzausten, nassen dunkelbraunen Haarschopf, schlüpfte durch die Löcher in der schwarzgrünen Wand. Er sah nicht einmal dreißig Schritte weit. Die Tatsache, daß sie seit den rätselhaften Ereignissen gezwungen waren, zu überlegen, sich in den Ruinen ihres ehemaligen Besitzes wieder einzurichten, mit den schwachen Kräften von sechs Rottenüberlebenden, verbot alle Gedanken über das vergangene und zukünftige Schicksal. Sie lebten inmitten des Chaos, aber sie hatten bis zum heutigen Tag überlebt.
    »Still! Ich höre ihn!« zischte Caronj. In diesem Dschungel voller unbekannter Gefahren benutzte er seine Lanze nicht. Die Axt war die bessere Waffe.
    Ilfa hob den rechten Arm und ballte die Faust.
    Er rannte bedächtig weiter, wich den Hindernissen aus und verfluchte das ewige Halbdunkel. Die Spuren vor ihnen wurden
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