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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Blinken meines Anrufbeantworters. Drei Nachrichten, alle von Christine. Warum ich nicht dranginge. Wieso ich sie einfach wegdrückte. Ich hätte doch um diese Zeit nichts vor, das wüsste sie ganz genau. Sie mache sich Sorgen, verdammt noch mal. Den letzten Anruf beendete sie mit tränenerstickter Stimme.
    Na warte!
    Eine Viertelstunde später meldete sich mein Telefon erneut. Ich ließ es genau einmal läuten, bevor ich den Hörer von der Station riss und sagte: »Ich bin über 18. Um mich braucht sich niemand Sorgen zu machen.«
    Stille. Und dann ein erleichterter Seufzer: »Gott sei Dank.«
    »Gott sei Dank was?«
    »Verdammt, Max, ich bin froh, deine Stimme zu hören! Du gehst nicht ans Telefon, nicht ans Handy, du bist nicht erreichbar, und vorgestern hat es bei euch einen Anschlag gegeben. Da darf man sich doch wohl Sorgen machen.«
    »Warum Sorgen, wenn du wusstest, dass ich es war, der deinen Anruf weggedrückt hat?«
    »Gehofft habe ich es. Ist schon gut, reg dich nicht auf. Ich bin einfach froh, dich am Telefon zu haben, verstehst du?«
    »Wie kommst du auf den Gedanken, ich könnte bei diesem bescheuerten Spektakel gewesen sein?«
    »Welches Spektakel meinst du?«
    »Den Spießbürgerrummel, den sie Heidelberger Herbst nennen.«
    »War dort der Anschlag?«
    »Ja.«
    »Davon steht nichts in den italienischen Zeitungen. Dort ist nur von vier Toten die Rede, darunter eine Frau aus Florenz, und dass sich die ganze Stadt in Aufruhr befindet.«
    »Ja, und die ganze Metropolregion und das ganze Land bis nach Rom hinunter. Max Koller beim Heidelberger Herbst! Schon die Vorstellung bereitet mir Kopfschmerzen.«
    »Wie ist bei dir die Verbindung? Kein Rauschen?«
    »Überhaupt keins, ich verstehe jedes Wort. Ich höre sogar, wie du die Stirn runzelst, wie sich eine Kummerfalte um deine Augen legt – einfach alles.«
    »Manchmal kannst du echt fies sein.«
    »Stimmt. Sonst noch was?«
    Sie schluckte. Und das konnte ich nun wirklich hören. Bis nach Heidelberg! Ja, ich war fies, aber das hatte sie sich selbst eingebrockt. Sie wusste, dass mich ihre Mütterlichkeit rasend machte. Um mich brauchte sich niemand Sorgen zu machen, auch nicht meine Exgattin. Sie gerade nicht. Ich war doch kein Konfirmand mehr! Angenommen, sie hätte eine kurze Nachricht auf dem Band hinterlassen, mit einer Telefonnummer und der Bitte, mich bei ihr zu melden: Ich hätte es getan. Vielleicht nicht sofort, aber im Laufe des Tages. Oder morgen. Vier Nachrichten waren drei zu viel. Und ihre Schluchzer das Sahnehäubchen auf der Sentimentalitätstorte.
    Christines Rührseligkeiten hatten ja nur bedingt mit dem Attentat zu tun. Jedes Mal, wenn sie im Ausland weilte, gingen die Gefühle mit ihr durch, sie stürzte zum Telefon und schmachtete mich über zig Ländergrenzen hinweg an. Ich vermisse dich, Max. Wollen wir nicht was besonders Schönes machen, wenn ich zurück bin? Nur wir zwei. Manchmal denke ich, wir sollten es noch mal …
    Ob es an der Entfernung liegt, dass sie vom Blues gepackt wird, kann ich nicht beurteilen. Vielleicht liegt es auch an ihren Mitreisenden, die sich unter dem Deckmäntelchen einer Bildungstour ins Unbehauste der eigenen Seele aufmachten. Wenn so ein einsamer Wolf spätabends an der Hotelbar seiner Nachbarin mit feuchten Lippen die Olive aus dem Cocktailglas klaubte, war er angekommen. Nicht so Christine. Die merkte plötzlich, in was für einer elenden Gesellschaft sie sich befand, genauer gesagt, merkte sie es nicht, sie verspürte bloß den unwiderstehlichen Drang, ihr Ohr an einen Telefonhörer zu pressen und mit ihrem Ex zu turteln.
    So lief es immer, wenn sie unterwegs war, in Andalusien, im Baltikum, in der Westtürkei oder Pompeji. Die Orte wechselten, die Sehnsucht blieb. Mich fragte keiner, was ich davon hielt. Und weil mich keiner fragte, sagte ich es ihr ungefragt, hinterher. Oder gleich am Telefon, wenn sich die Gelegenheit ergab. Heute ergab sie sich.
    »Okay«, sagte sie unter Aufbietung all ihrer Selbstbeherrschung. »Du machst also einen auf cool. Bitte, dann erzähl mir ganz cool, was du über Opfer und Täter weißt.«
    »So gut wie nichts. Die Namen der vier stehen in der Zeitung, abgekürzt natürlich, und von meinen Bekannten hat sich noch keiner als vermisst gemeldet. Es sind zwei Frauen und zwei Männer, schön gerecht verteilt, eine stammt aus Italien, einer aus dem Odenwald, den Rest habe ich vergessen.«
    »Klar. Vergessen.«
    »Wenn du eine Zeitung aufschlägst oder den Fernseher
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