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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest
Autoren: Marcus Imbsweiler
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nicht, aber sonst. Überall. Tischfußball-Kurt stimmte zu, und er musste es wissen, schließlich forderten die monatlichen Kickerturniere in seinem Hobbykeller mehr Verletzte als ein Spieltag in der Verbandsliga. Ein junger Anarchist berichtete von seinen Erfahrungen mit Mannheimer Ultras, während der Hagere die legendären Glasgower Duelle zwischen den Celtics und den Rangers beschwor.
    »Das waren keine Spiele mehr«, rief er, »das waren Schlachten! Ganze Stadtviertel gingen da aufeinander los. Katholiken gegen Protestanten, Irland gegen England. So war das!«
    »Irland«, nickte Leander. »Ich fahre da wieder hin. Bald.«
    »Und dann kam der Höhepunkt«, wollte der Glasgow-Experte fortfahren, wurde aber unterbrochen.
    »Musst du so schreien?«, blaffte ihn Tischfußball-Kurt an.
    »Ich schreie nicht.«
    »Und ob du schreist. Das geht auch leiser.«
    Irritiert beendete der andere seine Erzählung in halber Lautstärke. Sogar sein Lid zuckte nur noch bei jedem zweiten Satz. Maria kam an unseren Tisch, um zu kassieren. Kurt rutschte hinter seinem Orangensaft unruhig hin und her, dann murmelte er: »Sein Zeug geht auf mich.« Dabei zeigte er auf Leander, dessen rauschebärtiges Denkergesicht sich zu einem milden Lächeln verzog. Maria nickte.
    »Was ist denn mit dem los?«, flüsterte ich dem schönen Herbert zu. »Der hat noch nie einen spendiert. Niemals.«
    Auch Herbert ließ eines seiner seltenen Lächeln sehen. »Aus schlechtem Gewissen. Leanders Lieblingsinsel ist pleite, und Kurt glaubt, er sei daran schuld.«
    »Wie bitte?«
    »Erinnerst du dich an die Villa, die Kurt vor zwei Jahren von einem Onkel erbte? Er hat sie zu Geld gemacht und das Geld zu Aktien.«
    »Und wenn man ihn darauf ansprach, ging er in die Luft.«
    »Genau. Hochspekulativ, das Zeug. Kurt war plötzlich an Fonds beteiligt, die auf die verrücktesten Sachen wetteten. Unter anderem auf den Verfall der isländischen Krone. Und weil sie darauf wetteten, rauschte die Währung tatsächlich in den Keller, noch vor der globalen Finanzkrise. Die drei größten isländischen Banken gingen pleite und mit ihnen der Staat.«
    »Ach, und daran ist Kurt schuld?«
    »So sieht er es. Die Zusammenhänge wurden ihm erst vor Kurzem klar, als sich sein Finanzberater aus dem Staub machte. Jedenfalls ist ihm die Sache vor Leander megapeinlich.«
    »Aber was hat Leander mit Island zu tun? Island ist nicht Irland.«
    »Details«, sagte Herbert und winkte ab. »Um solchen Kleinkram hat sich Kurt noch nie gekümmert. Und keiner hier, weder Leander noch ich, hat ein Interesse daran, ihn über den Unterschied aufzuklären.«
    »Was quatscht ihr da die ganze Zeit?«, herrschte uns Tischfußball-Kurt über den Tisch hinweg an, seine übliche Zornesröte im Gesicht. »Keine Heimlichkeiten, verstanden?«
    »Ein bisschen handzahm wäre schon von Vorteil«, murmelte ich. »Er darf nur keine irische Euromünze in die Hand bekommen.«
    »Max«, sagte Maria und setzte sich neben mich, den offenen Geldbeutel in der Hand. »Hast du mal Zeit? Muss mit dir rede.«
    »Was gibts?«
    »Probleme, Max. Große Probleme.« Sie zog ein Papier aus der Tasche und strich es glatt. Ein amtliches Schreiben der Stadt Heidelberg, vom Ordnungsamt. Darin wurde der Wirtin des Gasthauses Zum Englischen Jäger, Frau Maria de’ Angeli, mit dem Entzug der Schankerlaubnis gedroht, falls sie nicht in Zukunft die Einhaltung des Rauchverbots in ihren Räumen beachte und ihre Gäste beim Verlassen des Hauses nicht Rücksicht auf die Bedürfnisse der Nachbarn nähmen. So seien nächtliche Ruhestörungen zum wiederholten Male aktenkundig geworden.
    »Aber niemand hat beschwert«, sagte Maria. »Keiner von den Nachbarn, die haben noch nie was gesagt oder Anzeige gemacht. Waren andere.«
    »Andere? Wer?«
    »Gleich. Lies zu Ende, Max.«
    Auch das Gesundheitsamt, hieß es weiter, habe jüngst Bedenken gegen sie als Wirtin geäußert. Aus diesem Grund fordere man sie auf, zu den aufgeführten Missständen Stellung zu nehmen und zu erklären, wie sie Abhilfe schaffen wolle. Weitere Schritte behalte man sich vor. Mit freundlichen Grüßen.
    »Kam das heute?«, fragte ich.
    Sie nickte.
    »Ich habs geahnt«, seufzte der schöne Herbert. »Irgendwann machen sie ihn dicht, unseren Garten Eden.«
    »So schnell geht das nicht«, wiegelte ich ab. »Das ist ein Serienbrief, den erhält jede zweite Kneipe in Heidelberg.«
    »Aber Gesundheitsamt war da«, klagte Maria. »Hat alles auf den Kopf gestellt. Das erste Mal seit
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