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Altraterra. Band 1: Die Prophezeiung (German Edition)

Altraterra. Band 1: Die Prophezeiung (German Edition)

Titel: Altraterra. Band 1: Die Prophezeiung (German Edition)
Autoren: Yvonne Pioch
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einem Zopf geflochten, der lang ihren Rücken hinab hing. Sie trug einfache, blau karierte Bauernkleider, die zu ihren himmelblauen Augen passten. Sie sah hübsch aus, gewiss, wenn auch lange nicht so auffällig wie ihr Bruder. Sie war und blieb ein Bauernmädchen, das in seinem Leben wohl kaum je das Dorf verlassen würde. Ganz anders ihr weit gereister Bruder. Henris Augen hatten einen ausdrucksvollen Glanz bekommen, wenn er auch noch so verächtlich wirkte. Er war gewachsen und hielt sich stolz im Sattel von Blizzard, als wolle er Miraj noch übertreffen.
    Die Tage waren anstrengend für Anne, neben der Feldarbeit musste sie nun auch noch Aufwand in der Küche betreiben – schließlich wollte sie nicht, dass Miraj sie nach Henris abfälliger Bemerkung über das Essen auch noch für eine schlechte Hausfrau hielt. Abends fiel sie meist todmüde auf ihr Heulager. Einmal jedoch konnte sie keine Ruhe finden. Allzu sehr beschäftigten sie Miraj und der Traum. So beschloss sie, zu ihrem Zimmer hinauf zu gehen und ein Buch zu holen. Sie hatte vor Mirajs und Henris Ankunft einen spannenden Roman begonnen, den sie beim Dorfkrämer gegen eine gelungene Näharbeit eingetauscht hatte. Es war nicht einfach, an Bücher zu kommen, da in ihrem Dorf nur die wenigsten lesen konnten und überhaupt Zeit dazu fanden. Doch hin und wieder geschah es, dass Reisende, die hier nur einen Zwischenhalt einlegten, ihre Vorräte aufstocken mussten und so allerlei Gegenstände aus der Stadt im Tausch abgaben. So musste wohl auch Annes Roman seinen Weg über die Hand eines wohlhabenden Herrn genommen haben.
    Ihr Herz raste, als sie die Treppen hinaufstieg. Vielleicht ergab sich die Möglichkeit für ein kurzes Gespräch mit Miraj? Zaghaft klopfte sie an die Tür, doch als niemand antwortete, trat sie ein. Miraj war nicht da. Seine Habseligkeiten waren im ganzen Zimmer verteilt. Ein schwarzer Umhang, den er stets zum Schwertkampf trug, lag auf einem Hocker. Das Schwert selbst konnte sie nirgends erblicken, wahrscheinlich trug er es bei sich. Bücher lagen verstreut auf dem Boden. Anne las die Titel „Schwertkampf für Fortgeschrittene“, „Die Sprache der Pferde“, „Die Fährten Fremder“. Zu gern hätte sie ein wenig gestöbert, ob sie auch etwas über Träume finden konnte, doch sie wagte nicht, sich hier länger als nötig aufzuhalten. Sie wollte sich schon abwenden, um ihren Roman, der noch immer in der Schublade ihres Nachttisches lag, zu greifen und das Zimmer wieder verlassen, als ein aufgeschlagenes Buch auf dem Bett ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Es zeigte eine Frau mit rotem Haar und grünen Augen, die – falls Annes Erinnerung sie nicht trog – ihrer Mutter ähnlich sah. Eine getrocknete Rose lag zwischen den Seiten. Anne nahm das Buch in die Hand und blickte zunächst auf den Einband: „Legenden und Magier der Alten Zeit“. Es ging in Henris Studien also tatsächlich um Zauberei! Schnell blätterte sie zurück zu der rothaarigen Frau. Nein, es war nicht ihre Mutter, und doch sah die fremde Dame ihr ähnlich. Sie hatte wunderschönes langes Haar, blickte dem Betrachter freundlich ins Gesicht und trug passend zu den Augen ein kostbar wirkendes grünes Kleid. Auf der gegenüberliegenden Seite stand:
    Gwynda, Magierin ersten Ranges. Geburt: Drittes Zeitalter. Besondere Fähigkeiten: Gedankenlesen, beherrscht die Sprache der Tiere, Somnia. Bis in die heutige Zeit Oberhaupt des Ordens …
    „Was hast du hier zu suchen?“ Anne fuhr herum. Mirajs Augen schienen vor Wut Funken zu sprühen. Er stürmte ins Zimmer und riss ihr das Buch aus der Hand. Noch nie hatte sie ihn so aufbrausend erlebt. „Ich … ich wollte … nur ein Buch“, stammelte Anne. „Schnüffeln in meinen Büchern, das wolltest du“, ereiferte sich Miraj. „Das ist nicht wahr“, entgegnete Anne gekränkt. „Du lebst in meinem Zimmer und fast alle meine Sachen sind hier. Ich wollte nur mein eigenes Buch holen – und dabei bin ich zufällig auf dieses Bild hier aufmerksam geworden.“ Sie hielt es ihm entgegen. „Ich dachte, es sei meine Mutter.“ Tränen stiegen ihr in die Augen. Mirajs Wut verrauchte so schnell, wie sie gekommen war. „Ist schon gut“, sagte er. „Es war sehr großzügig, mir dein Zimmer zu überlassen, und es tut mir leid, dass ich dir Unannehmlichkeiten bereite.“ Anne sah ihn zweifelnd an – er war immer so höflich und zuvorkommend, das war sie nicht gewohnt. Sie ging zum Nachttisch, öffnete die Schublade und nahm ihr
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