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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman
Autoren: Hans Fallada
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vom Boden. Sie sah dem zu, gedankenlos, als sähe sie es gar nicht, sondern etwas anderes. Doch wollte es Rosemarie scheinen, als lägeüber dem starren Gesicht etwas wie ein Schimmer von Befriedigung, leiseste Andeutung eines Lächelns.
    Mit einem Fluch war Schlieker zugesprungen, riß an der Flasche, die Frau hielt sie fest. Er zog und zerrte, dabei rief er – und auch in seiner Stimme klang etwas wie Angst: »Mali, Mali! Besinne dich! Was tust du?«
    Päule begegnete dem aufmerksamen Blick des Mädchens, die Flasche war leer geronnen, er hatte sie der kleinen, schwachen Frau nicht fortnehmen können. Er faßte Rosemarie bei der Schulter und schob sie ohne ein Wort hastig durch Küche und Kinderzimmer in die Stube. Der Riegel klirrte vor, aufatmend lehnte Rosemarie den Kopf gegen die kalte Scheibe. Draußen hörte sie Schlieker aufgeregt sprechen, aber sie achtete nicht auf das, was er sagte. Nur die Angst war in ihr, gestaltlose Angst vor etwas Schrecklichem, das immer näher rückte.
    Rechnete sie alles mit den längsten Zeiträumen, so mußte der Amtsgerichtsrat doch um sieben Uhr, spätestens um acht Uhr hier sein. Wenn sie nur bis dahin durchhielt, wenn es bis dahin nur nicht geschah! Aber was sollte eigentlich geschehen?
    Unendlich langsam wurde es dämmrig, das Haus war totenstill. Wie glücklich wäre sie jetzt gewesen, wenn eine Kinderhand Kies gegen ihre Fenster geworfen hätte! Aber der Garten war leer, triefend naß beugten sich die Bäume, mit wild um sich schlagenden Ästen, beim Anprall des Windes. Auf dem See waren kleine, weiße Schaumköpfe. Dann regnete es wieder.
    »Ich müßte Schlieker sagen, daß mein Wäschepaket noch immer in der Sandgrube liegt.«
    Aber als er sie dann in der Dunkelheit zum Melken holte, sagte sie es nicht. Es kam nicht mehr darauf an, alles löste sich auf, ging seinem Ende zu. In einer Stunde konnte sie den Amtsgerichtsrat erwarten.
    Nach dem Melken fütterte sie und putzte, sie machte Feuer im Herd und kochte irgend etwas schnell Fertiges zum Essen. Sie aßen allein in der Küche, Schlieker an der einen Seite des Holztisches, sie an der andern, der kleine Petroleumblaker zwischen ihnen. Die ganze Küche war voll dunkler, drohender Schatten. Und Mali war nicht da, kein Laut war im ganzen Haus zu hören, nur der Wind vor den Scheiben und manchmal das Kratzen einer Gabel auf dem Tellergrund. Jede Gesellschaft, selbst Päules, wäre ihr in dem verwunschenen Haus lieber gewesen als die abgeriegelte Einsamkeit ihrer Stube. Doch Schlieker jagte sie sofort nach dem Essen zurück, sie durfte nicht einmal abwaschen.
    »Kannst dich hinlegen, schlafen«, murmelte er. Und schien zu lauschen. Dann klirrte der Riegel, und er war fort.
    Sie stand wieder am Fenster, sah in die Nacht, aber es war nur Schwärze da, die wie eine Wand vor ihr stand. Ihr war, fast traumhaft, als hätte sie so ihr ganzes Leben hinter einem verschlossenen Fenster gestanden, mit dem blinden Blick auf eine Welt hinaus, die dasein mußte und ihr doch immer nur diese schwarze Rückwand zeigte.
    Jetzt muß der Amtsgerichtsrat schon unterwegs sein, auf der Küchenuhr war es vorhin halb acht gewesen.
    Das Haus war totenstill, aber sie meinte doch zu hören, wie es in den Wänden rieselte, wie die Tragbalken sich noch einmal spannten, um gleich, gleich für immer nachzugeben. – Ja, totenstill … Das Dach duckte sich darüber, aber es konnte auch ein Gewicht sein, ein lastendes Gewicht, das alles zerdrücken würde. Sie fühlte es förmlich, eine Sekunde lang war es, als schwebe schon die Schutt- und Steinlawine über ihr. Sie zog den Hals ein, die Schultern hoch – dann brach in die atemraubende Stille von nebenan her der Schrei!
    Sie fuhr zusammen und schrie auch auf, aber dann faßte sie sich wieder. Die Lawine war nicht abgestürzt, es war nichts, Mali hatte wieder einen Anfall bekommen, weiter war es nichts.
    Eine Weile wartete sie, ob Schlieker sie zur Hilfe holen würde, aber es war schon wieder still, niemand kam. Sie legte den Kopf gegen die Trennwand, kein Laut, nichts. Müde setzte sie sich auf ihr Bett und zog das Kissen frierend über die Knie.
    Wo blieb der Amtsgerichtsrat? Er müßte längst hier sein. Ach, er kam sicher nie!
    Sie war sich bewußt, daß Schlieker vor ihr stand, die rötlich scheinende Stallaterne in der Hand, ein veränderter, geängsteter, aufgeregter Schlieker.
    »Marie, Marie, wach auf! Die Frau ist weg … Ich war eben vorm Haus, da lief jemand … Sie ist weg, der Stall steht
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