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Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)

Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)

Titel: Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)
Autoren: Claus Riemann
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Auseinandersetzung die Rede ist, spitzt sich der Vater-Sohn-Konflikt zu. Nur einer kann gewinnen, überleben: Vater oder Sohn. Geht es bergauf mit Gigi, geht es bergab mit Pietro. Zunächst scheint Gigi die besseren Karten zu haben, er erscheint in seiner Lebenssituation glücklich, zufrieden und rund. Die Macht des Vaters scheint zu schwinden, er legt sich aufs Totenbett.
     
    Nicht selten haben Söhne oder Töchter das Gefühl: erst wenn Vater oder Mutter gestorben sind, kann ich anfangen zu leben! Doch wenn es dann soweit ist, öffnen sich im Traum die Sargdeckel, man stellt fest, dass die Eltern noch putzmunter und lebendig sind – im Unbewussten!
     
    Es ist so wichtig, sich mit den inneren Eltern auseinanderzusetzen, mit den Spuren, die Vater und Mutter in unserer Psyche hinterlassen haben seit unserer Geburt. Die inneren Jahresringe unseres Lebensbaumes werden wir niemals los – wir können sie nur bewusst machen und annehmen und ihnen dadurch ihre dunkle Macht nehmen. Nur wenn wir uns mit Vater und Mutter versöhnen, ist Versöhnung mit uns selbst möglich – unsere Eltern sind schließlich in uns!
     
    Zurück zu Gigi: Er scheint sich vom Vater emanzipiert zu haben, hat »es geschafft« im Geschäftsleben, ist (vermutlich glücklich) verheiratet und überall beliebt. Auch kommen die Frauen des Dorfes gerne zu ihm, seine Waren schmecken »irgendwie« besser, d.h. seine Ausstrahlung, seine Energie »schmeckt« besser als die des Vaters. Warum ist die Geschichte jetzt nicht zu Ende? Aus einem Grund: Gigi ist nicht vollständig. Er ist eine Gestalt ohne Schatten – Märchen wissen aber, dass Licht ohne Schatten, hell ohne dunkel nicht sein kann.
     
    Wird eine Gestalt nur freundlich und hell dargestellt wie Gigi, braucht man nur auf den schwarzen Hund oder den Totenschädel zu warten. Dass das gerade auf einem Friedhof passiert, ist nicht zufällig, denn dort ist der Platz der Ahnen. Es ist der Ort, der uns an unsere Vergänglichkeit erinnert, aber auch daran, dass wir eine Geschichte haben, dass es einen Stammbaum und eine Ahnengalerie gibt. Dass es sich um einen verwahrlosten Friedhof handelt, deutet sicherlich darauf hin, dass Gigi sich mit seiner Geschichte bisher – wenn überhaupt – nur sehr schlampig auseinandergesetzt hat. Das Reich der Vergangenheit ist nicht aufgeräumt, nicht in Ordnung.
     
    Es braucht Mut, sich des verwahrlosten Friedhofs anzunehmen, die Geheimnisse der Ahnengalerie zu lüften, gerade wenn dort Gestalten des Schreckens wohnen. Dann ist es nahe liegend, beispielsweise Psychotherapie oder Selbsterfahrung zu meiden wie der Teufel das Weihwasser. Aber: »Wovor du Angst hast, daran wirst du sterben!«, sagen die Indianer. Don Juan sagt zu Carlos Castaneda: „Ein Krieger ist immer gefasst auf einen Schlag von ungeheurer Wucht.“
     
    Wer wie Gigi schon lange vor der Auseinandersetzung mit dem Schatten der Vergangenheit flieht, hält diesen Schlag oft nicht aus. Was bedeutet der Blick in den Totenschädel? Wird Gigi mit einem Mal bewusst, dass sein Vater im Sterben liegt – und dass er selbst dafür mitverantwortlich ist? Ist es der Schädel des Vaters? Begreift Gigi, dass – wenn er selbst leben und glücklich sein will –, er seinen Vater »tötet«? Begreift er mit einem Mal, wie viel destruktive Energie – die des schwarzen Hundes – zwischen Vater und Sohn, auch in ihm selbst unterwegs ist?
     
    Vermiedene Auseinandersetzung mit den Eltern offenbart sich oft um die Lebensmitte herum. Ich kenne viele Menschen, die gerade in dieser Zeit ihres Lebens feststellen: In gewisser Hinsicht bin ich Vater oder Mutter sehr ähnlich geworden, obwohl ich es nie wollte: Etwa genauso überarbeitet, verschlossen und einsam wie der Vater oder genauso depressiv, unglücklich und krank wie die Mutter. Der Fluch der Vergangenheit hat mich eingeholt!
     
    Diese Problematik wird unterstützt durch moderne Therapieformen, die uns auffordern: Kümmere dich nicht um die Vergangenheit! Entwickle Visionen! Ändere die mentalen Konzepte in deinem inneren Computer! Denke positiv und alles ist möglich! So wichtig diese Therapieformen sind, so wichtig dieser Ansatz ist gerade als Gegenentwurf zur vergangenheitsverliebten Psychoanalyse, so einseitig ist er auch. Märchen zeigen: Wenn wir nicht bereit sind, unsere Hausaufgaben im Reich der Väter und Mütter zu erledigen, dann holt uns der Schatten der Eltern irgendwann ein, dann geraten wir wie Gigi irgendwann in diese Friedhofsituation und werden von
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