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Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)

Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)

Titel: Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)
Autoren: Claus Riemann
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einen kollektiven Aspekt: Die Hoffnung auf die Inkarnation eines neuen Jesus, eines neuen Buddha, eines Weltenretters, oder einfach die Hoffnung darauf, dass es in dieser Welt ein neues Bewusstsein geben möge, einen König, der so mutig ist, eine gleichwertige Königin an seiner Seite zu akzeptieren. Ein König, der mehr von Lebendigkeit, von Mutter Erde, vom Großen Weiblichen, von der unsichtbaren Welt versteht. Diesen neuen König brauchen wir so dringend, wenn dieser Planet überleben soll.
     
    Auf unserer individuellen Entwicklungsreise erleben wir den »neuen König« meist am Ende einer Dunkelphase. Wir sind am Ende des Tunnels angekommen, neu geboren. Dieses neue Licht, dieses neue Bewusstsein zu bewahren und zu verteidigen, die Fallstricke und Lockrufe aus dem Reich des überwundenen alten Königs zu erkennen und zu entmachten, wird jetzt die Aufgabe sein.
     

4. Ausgewählte Märchen und ihre Interpretation
     

4.1. Vater und Sohn
     
    In einem Bergdorf unweit von Lucca lebte vor Jahren ein Mann, der es für einen seines Schlages nicht schlecht getroffen hatte. Ein ordentliches Haus, ein ansehnlicher Gemüsegarten mit Obstbäumen, ein paar Äcker in guter Lage und vor allem sein eigener Laden, das war es, was Pietros bescheidenen Wohlstand ausmachte. Dort verkaufte er Würste und Fisch und ansonsten so ziemlich alles, was die Landleute brauchten.
     
    Nun hätte Pietro eigentlich zufrieden sein können, doch bei alledem war er ein engstirniger, hartherziger Mann, unter dem seine Familie viel zu leiden hatte. Dies galt besonders auch für seinen einzigen Sohn Gigi, den der Vater von Kindesbeinen an mit unnachsichtiger Strenge behandelte.
     
    Was Wunder also, dass der Sohn nichts Eiligeres zu tun hatte, als baldmöglichst aus der elterlichen Fuchtel zu entkommen. Er verheiratete sich früh mit einem Mädchen, das eine hübsche Aussteuer mitbrachte, suchte sich einen schönen Platz im Dorf und eröffnete seinen eigenen Laden. Dort bekam man so ziemlich das Gleiche, was auch bei dem Alten zu haben war. Allein die Salami, die dicken Würste, der getrocknete oder eingelegte Thunfisch – bei Gigi schien den Leuten alles irgendwie besser zu schmecken. Außerdem brachte er mit der Zeit doch einige Sachen in sein Geschäft, die es beim Vater nicht gab. Dabei war er stets freundlich und umgänglich und wusste Arm und Reich gleichermaßen gut zu behandeln.
     
    Deshalb kamen die Frauen des Dorfes gerne zu Gigi. Je mehr es nun mit dem jungen Kaufmann bergauf ging, desto schneller ging es mit dem alten bergab.
     
    In Pietros Laden blieben die Kunden aus. Tagelang saß er stumm vor seiner Tür und starrte vor sich hin. Zuletzt verließ er das Haus nicht mehr, verweigerte die Nahrung und war nicht mehr aus dem Bett zu bringen. Er kam so weit herunter, dass man ernstlich um sein Leben fürchten musste.
     
    Eines schönen Sonntags hatte Gigi wieder wie gewöhnlich in der Abendvesper die Orgel gespielt. Anschließend lud der Herr Pfarrer auf ein Gläschen ein. Da waren es doch mehr als eines geworden, und erst vor Mitternacht machte sich Gigi auf den Heimweg. Er nahm eine Abkürzung, die über den Kirchhof führte.
     
    Es war, wie in früheren Zeiten üblich, ein recht verwahrloster Gottesacker. Mit einem halb verfallenen Eingangstor, dazu ganz von Brennesseln und Gestrüpp überwuchert. Gigi ging den schmalen Fußweg entlang, als sich plötzlich ein dunkler Schatten zwischen den Gräbern bewegte. Er fühlte, wie ihm ein eisiger Schauer durch Mark und Bein kroch. Sein Kopf wurde ganz leer vor Angst. Um sich selber Mut zu machen, stieß er mit dem Gehstock auf die Erde und rief: »Wer da, wer ist da?« Im gleichen Atemzug schoss ein großer schwarzer Hund an ihm vorbei, rannte im Sprung gegen sein Bein und ließ ihm etwas vor die Füße fallen, rund wie eine Bocciakugel. Gigi bückte sich, tastete danach und hielt einen Totenschädel in den Händen. Voller Entsetzen starrte er in die hohle Fratze. Was er da sah, war so fürchterlich, dass ihm das Blut in den Adern stockte. Er stieß einen Schrei aus, verlor die Besinnung und schlug zu Boden.
     
    Die Leute, die Gigi am anderen Morgen fanden, hielten ihn zunächst für tot. Dann wurde aus dem Nachbardorf der Doktor gerufen. Der gab sich alle Mühe, und am Ende kehrten die Lebensgeister wieder zurück. Aber das Einzige, was der arme Gigi von sich gab, war ein unverständliches Gestammel, aus dem man lediglich das Wort Totenkopf heraushören konnte. Den fand man denn
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