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Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)

Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)

Titel: Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)
Autoren: Claus Riemann
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problematisch – der Fluch der »dunklen Mutter« ist für Schneewittchen lebensbedrohlich geworden.
     
    Nun habe ich aber erlebt, dass Gruppenteilnehmern diese Szene für sich als durchaus positiv erleben können: Wenn jemand sich etwa in einer Lebenssituation befindet, in der er/sie sich gestresst, überfordert, von Erwartungen anderer überschwemmt fühlt, kann geradezu eine Sehnsucht nach dem gläsernen Sarg entstehen: Dann wird dieser ein kraftvolles Symbol für Rückzug, notwendige Distanz, meditative Stille und Klarheit! Wenn also jemand den Sarg im Moment als positiv erlebt, hat er in seinem Sinne Recht – es wäre nicht sinnvoll, ihm seine Sichtweise ausreden zu wollen.
     
    Es ist ja gerade das Faszinierende, dass ein und dasselbe Märchen, ein oder dieselbe Szene oder Gestalt so unendlich verschieden erlebt werden kann – und auch erlebt wird. Die persönliche Fährtensuche lebt geradezu von dieser individuellen Sichtweise. Manchmal erzählen Gruppenteilnehmer mit absoluter Überzeugung von Szenen oder Worten, die in der Geschichte gar nicht vorkommen oder überhören konsequent zentrale Motive (»Was, in der Geschichte kommt ein gläserner Sarg vor? Kann nicht sein!«).
     
    Wenn ich nun sehe, dass ich eine offensichtlich für die Geschichte bedeutsame Szene einfach überhört habe, dann kann ich mich fragen, weshalb das so ist. Die erste Möglichkeit: Ich »brauche« diese Szene nicht, sie hat zumindest im Moment keine Bedeutung für mein Leben, anderes ist mir wichtiger. Die zweite Möglichkeit: Gerade diese Szene ist eigentlich meine, aber jemand in mir will nicht hinschauen, sei es aus Angst, Scham oder Trotz. Schau dir selbst zu: Wie ehrlich darfst du mit dir sein bzw. wie sehr musst du dich selbst (noch) austricksen?
     
    Weitere Hinweise könnten folgende Fragen geben: Bin ich in einer männlichen oder weiblichen Gestalt zu Hause, ist also zur Zeit eher meine männliche oder weibliche Energie gefragt? Bin ich in einer eher hellen oder dunklen Gestalt zu Hause? Ist eher meine lichte oder meine Schattenseite dran? Bin ich – auf das Märchen bezogen – in der Anfangsszene zu Hause, irgendwo in der Mitte oder ganz am Schluss? Bin ich also eher am Anfang einer neuen Lebensphase, eher mittendrin oder geht ein Lebenszyklus gerade zu Ende, wird etwas abgeschlossen? Was kam im Märchen vor meiner Szene, was folgt ihr? Was habe ich – symbolisch gesehen – hinter mir? Welche Herausforderung wird die nächste sein?
     
    Teilnehmer, die schon seit Jahren meine Gruppen besuchen, haben das eine oder andere Märchen schon öfter gehört und haben in der Regel festgestellt, dass sie durch die Geschichte »wandern«. Man springt ja nie zweimal in den gleichen Fluss. Höre ein Märchen heute, du wirst es mit anderen Ohren hören als in einem Jahr, in zwei Jahren, in fünf Jahren. Wenn du die Entwicklungsschritte des Märchenhelden auf dein Leben überträgst, wirst du hochinteressante Parallelen finden.
     
    Eine weitere Möglichkeit der Fährtensuche – die ich oft verwende– ist die Reise in die Vergangenheit. Du kannst dir die Frage stellen: Wie alt ist diese Szene beziehungsweise das dazugehörige Thema in deinem Leben? Vielen Teilnehmern fällt spontan eine Jahreszahl ein oder ein bestimmtes Lebensalter: drei Jahre, fünf Jahre, acht Jahre, zwanzig Jahre. Manche haben auch das Gefühl, diese Szene noch weiter zurückdatieren zu müssen, als ob ihnen dieses Thema seit Urzeiten und nicht erst aus diesem Leben bekannt wäre.
     
    Nun kannst du zum Beispiel – am besten auch wieder mit geschlossenen Augen – das Rad der Zeit zurückdrehen bis zu dem Zeitpunkt, als diese Szene, dieses Thema in dein Leben kam, dich sozusagen »erinnern«, Bilder von damals vorüberziehen lassen. Wann hat das alles angefangen, was war damals?
     
    Jetzt kommt vielleicht das Wichtigste: der Botschaft dieser Geschichte nachzuspüren. Wenn du lange genug in der Vergangenheit verweilt bist und vielleicht Hinweise bekommen hast auf den lebensgeschichtlichen Hintergrund deiner Szene, dann dreh das Rad der Zeit wieder nach vorne, bis hin zum heutigen Tag, und spür nach: Warum gerade heute diese Geschichte, diese Szene, diese Gestalt? Was »will« diese Geschichte von dir? Welche Botschaft an dich ist verborgen in dieser Geschichte? Was ist also »dran« in deinem Leben? Wohin geht deine Reise?
     
    Diese Botschaft, Aufforderung, vielleicht auch Warnung, ist immer »von dir an dich« gerichtet. Du bist sozusagen dein eigener
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