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Alter Adel rostet nicht

Alter Adel rostet nicht

Titel: Alter Adel rostet nicht
Autoren: P. G. Wodehouse
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in ihrem Hinterzimmer stets so was wie Kohlsuppe zu köcheln.
    »Eine Frage …«, sagte ich gleich beim Eintreten, verstummte dann aber, als ich sah, daß der Verkäufer gerade mit zwei andern Kunden beschäftigt war.
    Schon wollte ich ein »Ich bitte um Entschuldigung« nachschieben, um anzudeuten, daß ich nicht stören wollte, aber die Worte erstarben mir auf den Lippen.
    Trotz des Nebels draußen und der schummrigen Atmosphäre im Laden bemerkte ich, daß der kleinere, ältere der beiden Kunden für mich kein Unbekannter war.
    Es handelte sich vielmehr um Papa Bassett persönlich. In voller Lebensgröße. Irrtum völlig ausgeschlossen.
     
    Wir Woosters zeichnen uns durch eine Härte im Nehmen aus, die schon viel Bewunderung erregt hat. Sie kam mir jetzt wieder zustatten. Ein anderer hätte sich an meiner Stelle bestimmt auf sachten Socken davongemacht und das Weite gesucht, aber ich blieb standhaft. Was einmal war, sagte ich mir, das ist vorbei. Ich hatte schließlich meinen Obolus von fünf Pfund entrichtet und mich damit wieder in die bürgerliche Gesellschaft eingegliedert, so daß mir dieser alte Uhu gar nichts mehr anhaben konnte. Also blieb ich, wo ich war, und musterte ihn verstohlen.
    Er hatte sich schon bei meinem Eintreten umgedreht und mir einen Blick zugeworfen, und seither hatte er mich noch ein paarmal kritisch von der Seite angepliert. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis bei ihm der Penny fiel und es ihm dämmerte, daß der elegante junge Gentleman, der da lässig auf seinen Schirm gestützt am anderen Ende des Ladens stand, einer seiner ehemaligen Kunden war. Und gleich darauf zeigte sich, daß es bei ihm geklickt hatte. Als der Antiquitätenhändler sich vorübergehend in eins der entfernteren Gelasse verzog, kam er auf mich zu und peilte mich durch seine Optik scharf an.
    »Nanu!« sagte er. »Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor, junger Mann. Ich besitze nämlich ein vorzügliches Gedächtnis. Sie haben mal vor mir auf der Anklagebank gesessen.«
    Ich machte zur Bestätigung eine leichte Verbeugung.
    »Aber seither habe ich Sie nicht mehr gesehen. Recht so! War Ihnen wohl eine Lehre, was? Sind ehrlich geworden, wie? Ausgezeichnet! Was war doch gleich das Delikt? Moment – sagen Sie nichts – ich komme gleich drauf. Ja, richtig! Handtaschenraub!«
    »Nein, nein! Es war …«
    »Handtaschenraub!« wiederholte er mit Nachdruck. »Ich weiß es noch genau. Na ja, das war einmal, nicht? Wollen die Vergangenheit begraben, ja? Schön, schön. Roderick, kommen Sie doch mal her. Hier ist ein interessanter Fall.«
    Sein Kumpel, der gerade ein Silbertablett inspiziert hatte, legte es beiseite und gesellte sich zu uns.
    Er war, wie mir schon vorher aufgefallen war, ein Typ, bei dem es einem den Atem verschlug. Mit seinen mindestens zwei Metern lichte Höhe und seinem karierten Mantel, in dem er ungefähr eins achtzig breit wirkte, hatte er sofort meine Aufmerksamkeit erregt. Er sah aus, als hätte er eigentlich ein Gorilla werden sollen und als hätte es sich Mutter Natur dann im letzten Augenblick doch noch anders überlegt.
    Aber dieser Kerl beeindruckte nicht nur durch sein Volumen, sondern auch durch sein Gesicht, besonders wenn man es von nahem betrachtete. Es war kantig und energisch und zur Mitte hin mit einem Schnurrbart bewachsen. Sein Blick war starr und stechend. Vielleicht haben Sie schon mal in der Zeitung ein Foto von einem Diktator gesehen, wie er bei der feierlichen Eröffnung einer Kegelbahn mit hochgerecktem Kinn und blitzenden Augen eine flammende Rede ans Volk hält. So ungefähr müssen Sie sich diesen Vogel vorstellen.
    »Roderick«, sagte der alte Bassett, »ich möchte Ihnen diesen Mann vorstellen. Er ist der lebende Beweis für meine These, daß eine Haftstrafe nichts Erniedrigendes und Schädliches ist und daß sie niemanden daran hindert, über sich hinauszuwachsen und ein besserer Mensch zu werden. ›Wen der Herr liebt, den straft er.‹«
    Diesen Spruch hatte ich schon mal gehört. Er stammt nämlich von Jeeves, und ich fragte mich, wo dieser komische Heilige ihn wohl aufgeschnappt haben könnte.
    »Sehen Sie sich den Mann mal an. Vor einiger Zeit habe ich ihn wegen Handtaschenraubs zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, und offensichtlich hat ihm die Haftstrafe gutgetan. Er hat sich gebessert.«
    »So?«
    Er dehnte das zwar nicht direkt zu einem zweifelnden »Sooo?«, aber es gefiel mir trotzdem nicht, wie er das sagte. Mit unfreundlicher Miene sah er mich von oben herab
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