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Als wäre es Liebe

Als wäre es Liebe

Titel: Als wäre es Liebe
Autoren: Nicol Ljubic
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zusammengeschoben. Draußen vor der Kirche wehen die verwelkten Blätter durch die Straßen. Bestimmt wäre er ihnen hinterhergelaufen, so wie er auch Bäume umarmte und sich bei seiner ersten Ausführung ins Gras kniete, obwohl es feucht war, und an den Halmen roch. Sie waren immer zu viert unterwegs, auch am Vormittag in der Kirche. Pfarrer Schmidt als Seelsorger, Fritzmann, der Justizvollzugsbeamte, Friedrich und sie.
    Der Pastor schließt ihr die Kirche auf. Im Inneren ist es kühl und düster. Er ist erst seit einem Jahr in dieser Gemeinde, deshalb hat sie ihn nicht erkannt. Sie erzählt ihm, dass sie vor drei Jahren schon mal hier gewesen ist, aber sie erzählt ihm nicht, dass sie damals nicht allein war. Der Kirchturm misst zwanzig Meter und überragt kaum die Bäume. Aus dem Gefängnisbus heraus hatte er die Spitze des Turms gesehen und dann den Wunsch, sie einmal von innen zu sehen. Der Pastor damals hatte gewusst, wer seine Kirche aufsuchte. Er hatte die drei Männer angeschaut und sich offenbar nicht entscheiden können, wer von ihnen der Mörder war. Konnte es derjenige sein, der aussah wie ein Nikolaus? Vermutlich versuchte er ihn an seinen Augen zu erkennen. Aber Friedrichs Augen konnten ihre Farbe wechseln. Manchmal hatte sie in Augen gesehen, die braun waren und melancholisch, dann wieder waren sie so klar und blau und strahlend, dass sie anfangs an eine Sinnestäuschung glaubte. Sie hatte nicht gewusst, dass es Menschen gab, deren Augenfarbe sich ihren Stimmungen anpassen konnte. Der Pastor hätte sich die Hände anschauen müssen, aber auf die Idee kam er offenbar nicht. Schließlich umarmte er jeden der drei und hielt ihnen dann die Tür zur Kirche auf.
    Damals fiel die Mittagssonne durch das Fenster der Südseite, und der Altar und das Kruzifix schienen wie erleuchtet. Pfarrer Schmidt und Fritzmann setzten sich in eine der mittleren Bankreihen, während Friedrich im Gang, zwischen den Reihen, stehen blieb und den Altar betrachtete. Als er ein paar Schritte in Richtung des Altarraums machte, erfasste ihn das Licht. Es sah nicht so aus, als hätte er den Schein gesucht, eher als sei er unbedacht hineingeraten. Die Sonne stand in seinem Rücken. Vielleicht war es ein Schattenspiel, das ihn stehen bleiben ließ. Er machte einen Schritt vor und zurück, und sie sah, wie sich sein Schatten über das Kruzifix legte und wieder verschwand. Dann drehte er sich um und breitete seine Arme aus. Die Sonne leuchtete in sein Gesicht, und er schloss die Augen. Sie sah, dass er zu wanken begann, sie sah es an seinen Armen, die immer mehr in Bewegung gerieten, die, so schien es ihr, wie Flügel auf- und abschlugen. Offenbar war sie die Einzige, die das sah, weil weder Schmidt noch Fritzmann sich etwas anmerken ließen. Sie schob sich durch eine Bankreihe auf ihn zu. »Friedrich«, sagte sie. Er öffnete die Augen und schien ein wenig erschrocken über ihre Stimme, die auf einmal so nah war. »Du bist kein Engel«, sagte sie und lachte, »du kannst nicht davonfliegen.«
    Sie suchte sich einen Platz auf einer der Bänke hinter dem Pfarrer und Fritzmann. Friedrich kam ihr nach, so wie er sich bewegte, sah es immer aus, als hinkte er etwas, er wirkte nicht mehr sicher auf den Beinen. Er blieb einen Moment im Gang, vor der Reihe, stehen, stützte sich mit einer Hand auf die Lehne der Bank, schob sich dann zu ihr und setzte sich mit einem leisen Stöhnen neben sie.

Auf dem Balkongeländer hockt ein Spatz und sieht zu mir herüber. Ich weiß nicht, wie lange er da schon hockt. Es ist, als wartete er auf etwas. Selbst als ich an die Tür trete, macht er keine Anstalten, davonzufliegen. Ich gehe zur Spüle, klaube ein paar Brotkrumen vom Teller, öffne die Tür und lasse sie auf den Balkon fallen. Der Spatz verharrt zwischen den Streben und sieht mir zu. Erst als ich einen Schritt nach draußen mache, fliegt er weg und setzt sich auf einen Ast des nächsten Baums. Ein erster Tropfen fällt mir ins Gesicht. Ich sehe in den Himmel. Jenseits des Parks, bin ich mir sicher, regnet es schon. Ich lege meine Hände aufs Geländer. Ich stehe eine Weile auf ihrem Balkon und blicke in den Park vor dem Haus. Auf einer Bank sitzt eine alte Frau. Vor ihr steht ein Rollstuhl, und ich frage mich, wie sie allein aus dem Rollstuhl gekommen ist. Wahrscheinlich hat sie jemand dorthin geschoben, sie auf die Bank gesetzt, um sie vor dem Regen wieder abzuholen. Sie scheint sehr alt zu sein. Klein ist sie und kann offenbar ihren Kopf nicht mehr
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