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Als wäre es Liebe

Als wäre es Liebe

Titel: Als wäre es Liebe
Autoren: Nicol Ljubic
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den Lippen Worte zu formen. »Sieh mal, Friedrich, die Enten«, sagte sie und zeigte auf die dicke mit der grünen Kehle. Die Enten hatten sich von ihm abgewandt und blickten wieder dem Wasser entgegen.
    »Ich«, sagte er, »ich …«
    Sie wollte es nicht hören, sie hatte Angst vor dem, was er sagen würde. Instinktiv drehte sie sich um, um sicher zu sein, dass Fritzmann und der Pfarrer weit genug von ihnen entfernt saßen. Sie wird das Bild von den beiden nicht vergessen. Zurückgelehnt auf der weißen Bank, in einem Abstand zueinander, dass ein dritter zwischen ihnen hätte sitzen können, beide jeweils den vom anderen abgewandten Arm ausgestreckt auf der Banklehne liegend, beide etwas breitbeinig sitzend. So saßen sie da, als stille Beobachter. Beide hatten herübergeschaut, wahrscheinlich schon, seit er die Hände gehoben hatte. Wahrscheinlich hatte einer von beiden sie beobachtet und den anderen dann mit einer Berührung der Hand auf sie aufmerksam gemacht. Sie machte eine Handbewegung in ihre Richtung, ein kurzes Winken, um ihnen zu signalisieren, dass alles in Ordnung sei. Sie konnten sie, da war sie sich sicher, nicht hören, zumindest nicht, wenn er die Lautstärke beibehielt, die einem Flüstern glich. Sie bat ihn, die Hände herunterzunehmen, was er dann auch tat. Und sie glaubte zu wissen, was käme. Er hat ihn gespürt, den bösen Friedrich, er war in ihm, er hat in dem Moment alles gespürt und es gemocht. Das Zudrücken. Das Zucken. Den Kampf und zu wissen, dass sie den Kampf verliert. Er hat seinen Daumen auf ihren Kehlkopf gedrückt, wie eine kleine Nuss unter der Haut, er hat gespürt, wie sie geknackt hat, und es hat ihm gefallen. Niemand vor ihm hat es gemacht und niemand nach ihm konnte es machen. Er war der letzte Mann in ihrem Leben. Das hat er gedacht, als er das Knacken spürte. Sie hatte ihn wegschicken wollen, »Lassen Sie mich«, hat sie gerufen und »Gehen Sie weg!«. Sie hat ihn gesiezt. Auch das hat ihm gefallen. Aber er ist nicht gegangen, er ließ sich nicht fortschicken. »Sie! Hören Sie auf.« Und dann wurde ihre Stimme sanfter, weil sie merkte, dass er nicht ging. Und sie sagte: »Bitte, lassen Sie mich, bitte.« Aber selbst das Bitten half nicht mehr. Es gefiel ihm, dass sie bitte sagte. Und als er seine Hände um ihren Hals hatte, sagte sie nichts mehr. Wurde ganz still. Und auch das gefiel ihm. Sie legte ihre Hände auf seine Unterarme. Und es fühlte sich gut an, als wollte sie ihn berühren, ein letztes Mal seine Arme halten. Das war ein schönes Gefühl. Er hatte Sorge, sie würde kratzen oder ihre Fingernägel in seine Haut bohren, aber sie legte nur ihre Hände auf seine Arme, und sie wurden immer leichter, immer sanfter, und am Ende war es wie ein Streicheln, ein letztes Streicheln, und dann ließ sie von ihm ab. Sie aber lebte noch und hatte ihn betrogen mit ihrer letzten Berührung, weil sie nicht die letzte gewesen wäre, hätte er nicht den Stein genommen und auf ihr Gesicht fallen lassen. Sie wollte sich die Ohren zuhalten, so wie es Kinder machen, Ohren zuhalten aus Protest, dazu laut reden, singen, irgendetwas vor sich hin brabbeln, ohne Sinn und Verstand, einfach reden, reden und sich auf die eigene Stimme konzentrieren, die so fremd klingt, wenn sie den Rachen hochsteigt. Aber dann tat sie, was sie als Kind gelernt hatte. Einen Punkt mit den Augen fixieren. Als Kind war es eine kleine Unebenheit in der Decke, gerade tief genug, dass ihre Daumenkuppe hineinpasste, ohne es jemals versucht zu haben. Dafür war die Zimmerdecke viel zu hoch. Sie hätte einen Stuhl auf den Tisch stellen müssen und wäre wahrscheinlich immer noch nicht mit dem Daumen an die Decke gelangt. In ihrer Vorstellung aber schwebte sie durch den Raum, als hätte sie Flügel, sie betrachtete die Stelle aus der Nähe und fragte sich, woher diese kleine Unebenheit in der sonst so glatten Decke rührte. Ob sich der Maler, auf der Leiter stehend, abgestützt hatte, um nicht zu stürzen? Sie stellte sich vor, wie er auf der Leiter stand, die Decke strich und dann etwas hörte, das ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Vielleicht hat er etwas gesehen, von dort oben hatte man eine bessere Sicht auf das, was im Haus geschah. Vielleicht hat er durch das Fenster in den Garten gesehen. Vielleicht hat er dort ein Mädchen gesehen, das in den Himmel starrte, den Vater über sich. Dem Vater wurde schwindelig, dann streckte er den Arm nach oben, um sich abzustützen, was schon seltsam ist, weil man doch in der
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