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Als Oma noch mit Kohlen heizte

Als Oma noch mit Kohlen heizte

Titel: Als Oma noch mit Kohlen heizte
Autoren: Willi Faehrmann
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krümmte wohlig ihren Buckel. Sie hatte einen Pelz, so weich und so glatt wie Seide. Der Schnurrbart war lang und die Schnurrbarthaare leuchteten schneeweiß. Die Augen hatten die Farbe von Tannenhonig oder dunklem Bernstein.
    „Du bist eine sehr schöne Katze“, sagte Martin. „Für so eine Katze könnte ich glatt das Pfeifenrauchen aufgeben.“ Dann atmete er tief und zuckte die Schultern. „Aber Frau Krulle“, sagte er. „Ich kann dich leider nicht mit in die Donnersteinstraße nehmen.“
    Er griff nach seiner Tasche, richtete sich auf und ging weiter die Kaiserstraße entlang.
    Aber so leicht wurde er die Katze nicht los. Sie dachte nicht daran, allein in der zugigen Unterführung zurückzubleiben. Sie folgte Martin. Er drehte sich um und sagte: „Scht! Scht! Ab mit dir!“
    Die Katze blieb einen Schritt weit von ihm entfernt stehen, aber sie lief nicht fort. Sie kniff nur die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Sie liebte das nasskalte Wetter noch weniger als Martin.
    Vielleicht hat sie Hunger, dachte Martin. Er öffnete seine Tasche. In der Butterbrotschachtel, die Tilla ihm jeden Morgen wohl gefüllt zur Hütte mitgab, hatte er einen Rest Brot zurückgelassen. Seine beiden jüngsten Kinder freuten sich, wenn er das „Hasenbrot“, wie sie sagten, von der Hütte zurückbrachte, und fielen darüber her.
    Martin öffnete die Schachtel. Das Stückchen Brot, mit Margarine dünn bestrichen und mit einem Hauch von Leberwurst bedeckt – Tilla musste mit ihrem Haushaltsgeld sparsam umgehen, wenn es reichen sollte –, dieses Stückchen Brot also hielt er der Katze hin.
    Die kam ganz langsam näher, stellte ihren buschigen Schwanz steil in die Höhe, schnupperte und fasste das Brot ganz vorsichtig mit ihren spitzen Zähnen. Aber sie fraß es nicht. Sie legte sich das Brot zwischen die Pfoten, leckte die Leberwurst herunter und auch die Margarine.
    „Na, du bist mir vielleicht ein verwöhntes Luder!“, sagte Martin. Aber er meinte es nicht bös und lachte dabei, richtete sich auf und ging weiter.
    Die Katze war nun nicht mehr von Martin zu trennen. Sie lief dicht neben ihm her. Blieb er stehen, so rieb sie ihren Buckel gegen seine nassen Stiefel und ließ es sich gern gefallen, wenn er ihr mit der Hand übers Fell fuhr.
    „Gleich biegen wir in die Donnersteinstraße ein“, sagte Martin. „Dann muss unsere Liebe ein Ende haben.“
    Martin dachte: Notfalls muss ich ihr eins aufs Fell geben, damit sie davonspringt. Aber es war ihm nicht wohl bei diesem Gedanken.
    An der Ecke zur Donnersteinstraße hin kam ihm eine Idee.
    Mit einem Mal waren zwei Martinstimmen in ihm. Die Martinstimme Nummer eins steckte mehr in der Brust und die Martinstimme Nummer zwei hörte er mehr im Kopf.
    Martin Numero eins sprach: „Wenn ich die Katze nun unter meine dicke Lodenjacke stecke?“
    „Aber die Frau Krulle, Martin!“, sagte Martin Numero zwei. „Die hat sechzehn Augen, mindestens sechzehn Augen! Die sieht viel mehr, als es wirklich zu sehen gibt!“
    Martin Numero eins entgegnete: „Aber durch den dicken Lodenstoff kann auch eine Frau mit vielen Augen nicht hindurchschauen.“
    „Und weiter? Was wird dann weiter geschehen?“, fragte Martin Numero zwei kühl.
    „Was soll geschehen?“, beruhigte Martin Numero eins den Martin Numero zwei. „Du trägst die Katze unter deiner Jacke an Frau Krulles drei Gardinenfenstern vorbei, schaust dich gar nicht erst danach um, ob sie hinter der Gardine steht, schaffst das Tier nach oben und lässt es in eurer Küche frei.“
    „Sie wird’s herausbekommen“, wandte Martin Numero zwei zaghaft und schon halb überredet ein.
    „Katzen laufen auf Samtpfoten. Niemand kann sie hören, ganz gleich, wie viele Ohren er auch aufsperrt.“
    Martin Numero eins hatte gewonnen. Martin war wieder ein einziger Martin. Er hob das Tier vom Boden, knöpfte seine Jacke auf und legte sich die Katze gegen die Brust. Dann knöpfte er die Jacke wieder zu.
    Würde die Katze Angst bekommen und herauswollen?
    Nein, sie fand es schön, in diesem nasskalten Dezemberwetter dicht an der warmen Männerbrust liegen zu dürfen.
    Sie begann leise und behaglich zu schnurren. Ganz tief schnurrte sie und ganz zufrieden.
    Martin ging gerade aufgerichtet an Frau Krulles drei Fenstern vorbei. Seine Tasche hatte er unter den rechten Arm geklemmt.
    Vielleicht merkte sie es nicht, dass er ein wenig dicker geworden war.
    Vielleicht dachte sie: Ach, der Lohgerber, der setzt schon Winterspeck an.
    „Ganz egal, was sie von
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