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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl
Autoren: Juliet Nicolson
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meinen Eltern nach Schottland oder zu meiner Schwester und ihrer Familie nach London zu fliehen. Ich werde immer bereuen, dass meine Angst mich daran gehindert hat. Ich blieb auf der Insel, und nur mein Muttersein hielt mich am Leben.
      Nishy habe ich seit dem Tag, an dem wir uns verabschiedeten, nicht mehr gesehen, aber jede Woche haben wir einander geschrieben. Seit achtzehn Jahren bringe ich meine Briefe zum Plantagenbüro, wo Berthas Mann Tom sie im Stapel der Ausgangspost versteckt. Nishys Briefe an mich warten in einem an Bertha adressierten Umschlag im Postamt von Speightstown auf Abholung. Bertha läuft jederzeit Gefahr, dass sie verhört wird, weil sie Briefe von ihrem Cousin in Indien bekommt. Als Du, May, meine Tochter, vor einigen Jahren anfingst, die Post nach Speightstown zu bringen, konntest Du nicht ahnen, dass die Dokumente, die Du in den Händen hieltest, Liebesbriefe Deiner Eltern waren. Nishys Briefe habe ich alle aufbewahrt, und ich hoffe, dass man sie Dir eines Tages übergeben wird, damit Du verstehen und verzeihen kannst.
      Dafür, dass Duncan Dir, May, erlaubte, im Familienhaus zu wohnen, stellte er eine Bedingung: dass Ihr, Du und Sam, niemals etwas über Deine Herkunft erfahren dürft. Ich versprach, das Geheimnis für mich zu behalten. Und niemand zweifelte daran, dass das schöne Kind mit der dunklen Haut Duncans Tochter war.
      Duncans Kriegswunden hatten zur Folge, dass er keine Kinder mehr zeugen konnte, und nach meiner Untreue, dem Verlust seiner Männlichkeit und dem Tod eines geliebten älteren Bruders begann er zu trinken. In der Navy war Rum das fünfte Element gewesen, wie Luft oder Wasser. Der Alkohol verschärfte seinen Zorn, und seine Stimmungsschwankungen waren und sind oft furchterregend.
      Zuerst konnte er es nicht über sich bringen, das neue Baby
auch nur anzuschauen. Vielleicht ahnte er, dass ein so hübsches Kind nur aus Liebe gezeugt werden konnte. Nach einigen Jahren jedoch veränderte sich sein Verhalten Dir gegenüber und wich einer erdrückenden Zuneigung. Er sagte mir, wenn er Dich nicht wie ein Vater lieben könne, werde er Dich ›besser als ein Vater‹ lieben. Ich wehrte mich nicht. Ich dachte, dass es besser wäre, er würde Dich zu viel lieben, als gar nicht.
      In all den Jahren blieb Duncans Achtung vor Dir, seine Liebe zu Dir, Sam, unversehrt. Er war stolz auf Dich, und nur aus Stolz und aufgrund der Hoffnung, die Du ihm angesichts seines eigenen Scheiterns gegeben hast, willigte er darin ein, dass Ihr beide nach England geht. Meine Angst um Eure Sicherheit ließ sich nur besänftigen, weil ich wusste, dass Ihr in der Obhut Nathanials sein würdet, dem ich Euch, beim Leben meiner Schwester, beide anvertraue.
      Ich zähle die Tage, die ich ohne Euch verbringen werde, und frage mich, wie lange ich fortfahren kann mit einem Leben, das sich so leer anfühlt. Duncan ist wütender denn je. Er macht sich Vorwürfe, weil er Euch gehen ließ, genauso wie er sich Vorwürfe gemacht hat, weil er mich während des Krieges zurückgelassen hatte.
      Aber hätte er mich nicht zurückgelassen, hätte ich nicht drei Jahre ganz allein mit meinem geliebten Sohn verbracht, ich hätte niemals Nishys Liebe erfahren oder die Freude gehabt, Mutter einer solch kostbaren Tochter zu werden.
      Was immer mit mir geschieht, vergesst nie, dass ich Euch immer geliebt habe und immer lieben werde.
    Eure Mutter
     
    May steckte den Brief wieder in den Umschlag. Sie war wie benommen. Die Tragödie am Strand schien kein Zufall gewesen zu sein. Sie legte ihrem Bruder den Arm um die Schultern.
    »Ich hasse Duncan«, sagte Sam leise. Dass er den Vornamen benutzte, drückte eine unverkennbare Kälte seinem Vater gegenüber aus. Sam war fünf Jahre alt gewesen, als Duncan aus
dem Krieg heimkehrte, alt genug, um sich daran zu erinnern, was an dem Tag passiert war. Er hatte miterlebt, wie entsetzt seine Mutter war, als sein Vater und Nishy, der sanfte und ruhige Mann mit der dunklen Haut und dem Ziegenbärtchen, sich heftig gestritten hatten. Sam konnte sich auch daran erinnern, dass seine Mutter geweint hatte, lange nachdem Nishy unerklärlicherweise verschwunden war. Sam erhob sich von der Bank, steckte die Hände in die Hosentaschen und trat gegen einige der letzten Herbstblätter, die über die menschenleeren breiten Parkwege trudelten. Vor ihnen ging bereits die Sonne unter, ein Feuerball senkte sich zum Horizont.
    »Ich habe gesehen, was Duncan Mum angetan hat. Auch ich
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